Nun 45 Stolpersteine in St. Tönis und Vorst „Die Qualen und die Angst kann man sich nicht vorstellen“
St. Tönis · Neue Stolpersteine erinnern an Heinrich, Jenny, Anna und Benjamin Wolff, Berta und Oskar Kramer sowie Bernhard Rath und Paul Emmen. Vorbereitet haben die Verlegung Schüler des Michael-Ende-Gymnasiums.
Insgesamt 37 Stolpersteine hat die Initiative von Künstler Gunter Demnig in St. Tönis und Vorst bereits verlegt, am Mittwochabend kamen acht weitere Steine hinzu. Sie erinnern an Heinrich, Jenny, Anna und Benjamin Wolff, Berta und Oskar Kramer sowie Bernhard Rath und Paul Emmen.
Vorbereitet haben die Stolpersteinverlegung Schülerinnen und Schüler des Projektkurses „Stolperstein“ des Michael-Ende-Gymnasiums. „Wir haben das Projekt etwa sechs Monate vorbereitet“, erklärte Lehrer Jannik Hermsen. Zusammen mit 14 Schülerinnen und Schülern hatte er vor allem Wiedergutmachungsakten ausgewertet, um die Biografien der Opfer zu rekonstruieren.
Darunter war auch Paul Emmen, dessen Leben und Wirken die Schüler an der Willicher Straße vorstellten. Emmen betätigte sich aktiv in der SPD und wurde daher im Jahr 1937 in Krefeld verhaftet. Sieben Jahre musste der St. Töniser in Haft verbringen. Dort misshandelten ihn die Nationalsozialisten so sehr, dass er bleibende Schäden davontrug. Auf Wunsch einer Anwohnerin, die Emmen persönlich kannte, wurde der Stein nicht vor seinem ehemaligen Wohnhaus an der Willicher Straße verlegt. Nun soll eine andere Stelle gefunden werden.
Anschließend ging es für die zahlreichen Anwesenden weiter zum Wohnhaus der sieben jüdischen Opfer, an deren Leben ab jetzt ein Stolperstein erinnert. Das Haus an der Hochstraße 67 diente den Nationalsozialisten damals als Judenhaus. Dort mussten die Familie Wolff, das Ehepaar Kramer und Bernhard Rath zwangsweise in äußerst beengten Verhältnissen leben.
Heinrich Wolff war Mitinhaber der Firma Wolff und Klein und ein angesehener Bürger. Seine Frau Jenny kümmerte sich um den Haushalt und die gemeinsamen Töchter, von denen eine früh starb. Die zweite Tochter Anna heiratete mit 24 Jahren Benjamin Wolff, der ein langjähriger Bekannter war. Während dem Ehepaar im Jahr 1939 die Flucht nach London gelang, blieben die Eltern in St. Tönis zurück.
Zusammen mit dem Ehepaar Kramer und Bernhard Rath mussten sie das Haus an der Hochstraße bewohnen. Es ist davon auszugehen, dass Berta und Oskar Kramer sowie Bernhard Rath nicht freiwillig nach St. Tönis gezogen waren. Während die gebürtige Wittgensteinerin Berta mit ihrem Ehemann in Uerdingen gelebt hatte, war der über 90 Jahre alte Bernhard Rath in Straelen wohnhaft. Gemeinsam mit einem weiteren jüdischen Ehepaar versuchten die Kramers im November 1941, kubanische Visa zu erhalten. Die Flucht gelang ihnen nicht mehr.
Am Morgen des 25. Juli 1942 wurden die fünf Niederrheiner in einen Viehwaggon in Düsseldorf gesperrt. Um 9.25 Uhr setzte sich der Zug in Richtung Theresienstadt in Bewegung. „Die Qualen und die Angst auf der rund 24-stündigen Fahrt ohne Essen und Trinken kann man sich nicht vorstellen“, machten die Schüler deutlich. Das Ghetto in dem von den Deutschen besetzten Gebiet diente den Nationalsozialisten vor allem als Durchgangslager zu den großen Vernichtungslagern wie Auschwitz oder Treblinka.
Keiner der fünf Deportierten überlebte den Holocaust. Während Bernhard Rath noch in Theresienstadt starb, wurden die anderen weiter nach Treblinka gebracht. Dort töteten die Nationalsozialisten Heinrich und Jenny Wolff sowie Berta und Oskar Kramer wahrscheinlich direkt nach ihrer Ankunft im Herbst 1942.
Mehr als 80 Jahre später sollen die Stolpersteine an ihrer letzten Wohnadresse an ihr Schicksal erinnern. Aus den Wiedergutmachungsanträgen, die der Projektkurs gemeinsam ausgewertet hatte, geht hervor, welche Entschädigung den Überlebenden für den Verlust von Hab und Gut sowie Freunden, Bekannten und der Familie zugestanden wurde. Die Tochter des Ehepaares Kramer, die 1937 in die USA auswandern konnte, erhielt für den Verlust des elterlichen Installationsgeschäftes eine Entschädigung in Höhe von 10.917 Deutsche Mark. Anna Wolff sprach man als Entschädigung für ihren Verlust 6450 Deutsche Mark zu. Nach der Stolpersteinverlegung beendete Lehrer Hermsen die Veranstaltung mit dem Appell: „Nie wieder ist jetzt“.