Anrath/Schiefbahn Wilhelm Otto und seine Poesie-Tournee
Der Heimatdichter (92) erfreut andere Senioren mit Geschichten.
Anrath. „Den könnte ich mir noch einmal anhören“, sagt eine Mitsiebzigerin. Sie ist eine von 30 Bewohnern des Seniorenheimes St. Josef. Sie haben es sich im großen Aufenthaltsraum bei Kaffee und Kuchen, Wasser und Plätzchen, gemütlich gemacht.
Heimatdichter Wilhelm Otto ist mit Geschichten und Gedichten vorbeigekommen. Dem Poeten sieht man sein Alter nicht an: Wilhelm Otto, der seit 2006 im Schiefbahner Hubertusstift lebt, ist 92 Jahre alt. Auch wenn der Senior, der als Vertriebener 1948 nach Mönchengladbach kam, nicht mehr so gut zu Fuß ist, merkt man ihm die Lebensfreude und Lust deutlich an, die Zuhörer auf seinen Streifzügen durch den Niederrhein mitzunehmen.
Zu Beginn überreicht Otto der ältesten Person im Raum, einer Dame, eine weiße Rose und trägt ein Rosengedicht vor. Das mache er bei jedem Auftritt — schon seit sechs Jahren, berichtet er.
Wilhelm Otto hat natürlich auch seine „Allerweltskiste“ dabei. Einen kleinen Koffer, aus dem er sich bedient. Darin zahlreiche Blätter, gefüllt mit Poesie. Seiner Poesie.
Am Piano begleitete wieder Frank Scholzen den Spaziergang durch die Welt der Kinder, der lustigen Herbstblätter, voll Träumereien und Humor.
Er sei früher ein toller Sportsmann gewesen, so Otto. Er habe einmal beim Stabhochsprung sieben Meter geschafft, wurde aber bei dem Wettbewerb disqualifiziert: „Der Sprung war gelungen, aber ich war ohne Stab gesprungen.“
Kurze Zeit später ist Wilhelm Otto ein Wegekreuz, von dem man in Ruhe die Umgebung betrachten kann; ein anderes Mal ein Apfelbaum oder ein Verliebter, trotz seines hohen Alters. Oft gibt es Zwischenapplaus. Ein Schmunzeln geht durch den Saal.
„Ich komme wieder, so etwa ein Jahr mache ich die Tour noch“, sagte Wilhelm Otto zu Petra Freisinger, der Leiterin des Sozialen Dienstes im Anrather Josefsheim. Bis zu 30 Mal im Jahr ist der Heimatdichter in Seniorenheimen unterwegs, auch über die Grenzen von Willich hinaus. Am 25. November hat er ein Heimspiel im Hubertusstift.
„Das Schreiben hat mir selbst viel geholfen“, sagt der Poet. Früher leitete er im sächsischen Landkreis Zwickau einen Textilbetrieb, der ihm enteignet wurde. Im Westen lebte er viele Jahre mit seiner Ehefrau in Mönchengladbach, arbeitete als Bezirksdirektor für eine Versicherung. Als seine Frau, mit der er über 52 Jahre verheiratet war, 2002 starb, fiel Otto erst einmal in ein tiefes Loch.
„Irgendwann bin ich wieder normal geworden. Der Glaube und auch die niedergeschriebenen Erinnerungen haben mir dabei sehr geholfen“, sagt er. Schon als Jugendlicher hat er bei Familienfeiern Anekdötchen, Gedichte, lustige und hintersinnige Geschichten geschrieben. Wer ihn buchen möchte: Tel. 02154/48593414.