“Wie soll Willich zur Schwammstadt werden?“ Kanal-Anschluss: Anwohner müssen zahlen
Willich · Seit Jahrzehnten lassen die Anwohner an der Alperheide 44 bis 74 das Regenwasser unter ihren Gärten versickern. Doch mit dem Ausbau der Straße verlegt die Stadt Willich nun einen Kanal und zwingt sie, ihre Grundstücke anzuschließen.
(jbu) Eigentlich müsste Henryk Stobernack doch gute Laune haben. Nach Jahrzehnten der politischen Diskussionen wurde kürzlich die Sanierung der auch als Alperheide bekannten Schlagloch-Piste vor seiner Haustür beschlossen. Und das, ohne dass er als Anwohner sich über die nun quasi abgeschafften Straßenbaubeiträge finanziell beteiligen muss, gegen die sich die Nachbarschaft so lange gewehrt hat.
Doch bezahlen muss Stobernack trotzdem. Die Stadt Willich zwingt ihn, sein Haus und Grundstück an den neuen Regenwasserkanal anzuschließen, der mit der Sanierung gebaut wird. 43 000 Euro hat eine Firma dafür veranschlagt. Bei einem Nachbar sind es 68 000 Euro. Der benachbarte Bauernhof? Hat einen Kostenvoranschlag von über 200 000 Euro bekommen.
Regen wird unterirdisch
in den Garten geleitet
Dabei seien er und seine elf Nachbarn, die am Ortsausgang Richtung Krefeld leben, mit ihren Versickerungslösungen bislang bestens klargekommen, sagt der selbstständige Bauingenieur, einen Regenwasserkanal hat es entlang der Hausnummern 44 bis 74 nie gegeben. Der Regen wird von Dach und Garage in den Boden und unterirdisch in den Garten geleitet, wo sich ein Sickerschacht in 2,5 Meter Tiefe befindet. „Seit 20 Jahren versickert dort das Wasser friedlich“, sagt Stobernack. Er hat Straßen-NRW gar erlaubt, eine Regenfangrinne und einen Versickerungsschacht in seiner Garageneinfahrt zu bauen, um das Wasser von der Straße abzuführen. Die Stadt aber spricht auf Anfrage davon, dass bei Starkregen das Wasser „unkontrolliert abfließe“, Anwohner seien „partiell von Überschwemmungen“ betroffen. Stobernack, der sagt, sich im Namen aller Anwohner an die Zeitung gewandt zu haben, sind keine Überschwemmungen zu Ohren gekommen.
Die privaten Versickerungsschächte sind wasserrechtlich genehmigt. „Diese Genehmigung wird uns nun mit dem Ausbau der Alperheide entzogen“, erklärt Stobernack. Sein Regenwasser soll künftig über eine Pumpanlage aus dem neuen Regenwasserkanal unter der Straße kilometerweit in das Regenklärbecken Flöthbachaue transportiert werden. „Und das soll ökologisch sinnvoll sein? Sämtliche Experten sagen doch, dass eine dezentrale Vor-Ort-Versickerung als Lehre aus der Flutkatastrophe im Ahrtal der beste Hochwasserschutz ist“, betont der 56-Jährige.
Grund dafür, erklärt der Technische Beigeordnete der Stadt, Gregor Nachtwey, sei die komplizierte Rechtslage. Der Kanalbau sei einerseits Teil des mit der Bezirksregierung abgestimmtem Abwasserbeseitigungskonzept für die Jahre 2021 bis 2026, zudem sei eine Reinigung des Wassers angesichts von 2000 Fahrzeugen pro Tag durch das Umweltministeriums vorgeschrieben. Und das gehe nur über einen Kanal. Zudem bestehe laut Landeswassergesetz für Grundstückseigentümer eine sogenannte Abwasserüberlassungspflicht, die in der städtischen Satzung als Anschluss- und Benutzungszwang festgehalten sei. Gibt es einen Kanal, muss angeschlossen werden, betont Nachtwey.
Die Vorgabe könne man nicht politisch einfach rückgängig machen, die Stadt Willich habe auf ihrer Grundlage über Jahrzehnte eine „aufwendige, umfangreiche und ökologisch wertvolle Niederschlagsentwässerungsinfrastruktur aufgebaut, deren Betrieb finanziert werden muss“, erklärt der Beigeordnete Überlasse man nun den Bürgern individuell, ob sie diese Infrastruktur mitfinanzieren oder nicht, müssten „aus Gründen der Gleichbehandlung“ auch anderen Eigentümern die Möglichkeit zur Versickerung eingeräumt werden; das System geriete ins Wanken.
Aus diesen Gründen hat zuletzt auch die Kommunalaufsicht des Kreises Viersen und das Umweltministerium Strobenacks Beschwerde abgewiesen, der mit der Argumentation dennoch seine Probleme hat; er habe dem Bürgermeister sogar angeboten, fiktive Abwassergebühren zu bezahlen, wenn er nur seinen Versickerungsschacht behalten dürfe: „Ich kann das mit der Rechtslage nicht mehr hören. Der Beschluss der Stadt Willich stammt aus den 1970er Jahren, ist völlig veraltet. Recht muss doch für die Menschen gemacht sein und mit der Zeit gehen“, sagt er und fragt, in Anspielung auf die geäußerte Zukunftsvision Nachtweys: „Wie soll Willich denn zur Schwammstadt werden, wenn man exakt das Gegenteil macht?“
Auch Nachtwey deutet an, dass der Anschlusszwang inhaltlich antiquiert wirke, er sei sich bewusst, dass eine Vor-Ort-Versickerung sinnvoller sei, würde gerne das städtische Abwasser-System transformieren. Aber dafür müsste die neue Landesregierung etwas bei der Finanzierung, sprich die Gebühren ändern: „Dieser Konflikt kann nicht von den Gemeinden gelöst werden.“
Stobernack jedenfalls hat keine 43.000 Euro, um den Anschluss zu bezahlen, lebt als Bauingenieur davon, dass ein Großteil seiner Aufträge von der Messe Düsseldorf kommen, die in den Pandemie-Jahren weggebrochen sind. Einige Nachbarn seien Rentner, „die werden daran kaputt gehen“, sagt er. Von der Stadt heißt es, man werde sich „jeden etwaigen Härtefall“ ansehen. Da ein Anschluss an den Kanal erst voraussichtlich 2025 erfolge, „besteht bis dahin die Möglichkeit, entsprechende Rücklagen zu bilden.“ Gelinge das nicht, könnten Fristverlängerungen eingeräumt werden.
Hoffnung für die Nachbarschaft an der Alperheide gibt es noch: Eine Befreiung vom Anschlusszwang an den Kanal kann laut einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW erfolgen, wenn die Kosten über 25 000 Euro liegen. Aber nur dann, wenn die „Aufwendungen in keinem tragbaren Verhältnis zum Wert des Grundstücks stehen“.