Bogen spannen zur Entspannung
Beim ASV Dojo in Neuwerk wird japanisches Bogenschießen gelehrt. Bescheidenheit ist ein hohes Gebot bei den Sportarten aus Japan, deren Fokus darauf liegt, beständig an sich selbst zu arbeiten.
Mönchengladbach. Ulrich Meihsner hat sich auf den Feierabend gefreut. „Es sind in dieser Woche wieder viele Menschen gestorben“, sagt der Krankenhauspfarrer am Bethesda-Krankenhaus und Leiter der Notfallseelsorge in Mönchengladbach. Menschen und ihre Angehörigen in solchen Situationen zu begleiten, ist eine Aufgabe, die er nicht immer nach Feierabend zu den Akten legen kann.
Da kommt ihm das Kyudo-Training beim ASV Dojo gerade recht. Schon beim Betreten der vereinseigenen Halle schraubt man das übliche hektische Tempo automatisch runter. Trainer Johannes Maringer verbeugt sich respektvoll vor jedem Neuankömmling — was der automatisch erwidert. Ruhe herrscht im Raum.
„Wir versuchen hier, unsere Sinne zu fokussieren. Wenn wir hier sind, ist nichts anderes notwendig“, sagt Maringer, der sich schmunzelnd als „Anfänger“ in der Kunst des japanischen Bogenschießens bezeichnet. „Ich mache das erst seit 16 Jahren“, sagt der Mann aus Mettmann, der auch schon Europameister dieser Kampfkunst war.
Bescheidenheit ist ein hohes Gebot bei den Sportarten aus Japan, deren Fokus darauf liegt, beständig an sich selbst zu arbeiten — womit von vorneherein klar ist, dass es keine Vollendung geben kann.
Seine Frau Darlene übt seit acht Jahren und hat den ersten Schuss an diesem Abend. Ihr Weg vor das Makiwara (das Ziel, eine Rolle aus Reisstroh), die Art, wie sie sich davor verbeugt, den Bogen fasst, den Pfeil auflegt, das Ziel anvisiert und nicht mehr aus den Augen lässt, den Pfeil schnellen lässt, sind geprägt von Ruhe, Konzentration und Langsamkeit. Alles folgt einer streng festgelegten, ästhetischen Choreographie.
Am Bogen muss der Schütze den Punkt für den Griff selbst finden. Die Auflage für den Pfeil bildet der Daumen. „Wenn man zwischendurch merkt, dass man etwas falsch gemacht hat, dass der Schuss gar nicht ins Ziel gehen kann, wird trotzdem nicht abgebrochen oder korrigiert“, erklärt Maringer die Bedingungen beim Üben. Durchziehen heißt also die Devise.
Darlene hat ein halbes Jahr lang mit einem an einem Holzstück befestigten Gummi Bewegungsablauf und Haltung geübt, bevor sie einen Bogen benutzen durfte. Den über den Kopf zu heben, und dann die linke Hand weit nach vorne zu ziehen, mit der rechten die Sehne so zu spannen, dass sie unterhalb des Jochbeins zu liegen kommt, weitet die Brust. Zwölf Kilo Zug sind auf Darlenes Bogen, 18 auf Johannes.
„Wenn ich dann den Pfeil schnellen lasse“, erklärt Ulrich Meihsner den Zweck der Übung, „dann ist der ganze seelische Ballast mit weg. Dann bin ich wieder in meiner Mitte und entspannt.“
Und noch eine wichtige Lehre nimmt der Anfänger mit ins Leben: Wenn man den Bogen spannt und keinen Pfeil abschießen kann, darf man die Sehne keineswegs schnellen lassen. Die Energie, die den Pfeil ins Ziel bewegen könnte, würde den Bogen zerstören. Man muss also aktiv und unter Anstrengung die Arme zusammenführen und die Sehne entspannen, zurück in die Ausgangslage.