Gas-Unfall: Mehr als 100 Verletzte in Mönchengladbacher Lackfabrik
Gefährliches CO2-Gas ist am Samstagmorgen bei einem Unfall in einer Lackfabrik in Güdderath freigesetzt worden.
Mönchengladbach. Ein Defekt in der Feuerlöschanlage eines Lack-Lagers in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) hat am Samstagmorgen zu einem folgenschweren Gas-Unfall geführt. Mindestens 107 Menschen erlitten Kohlendioxid-Vergiftungen und mussten wegen Atembeschwerden, Übelkeit und Schwindel behandelt werden. 16 kamen in Krankenhäuser, einer musste auf die Intensivstation.
Mindestens vier Menschen, die der Gaswolke über dem Lager besonders nahe gekommen waren, blieben minutenlang leblos am Boden liegen. Sie wurden geborgen und wiederbelebt. Sie sind nach Einschätzung der Rettungskräfte dem Tod nur knapp entronnen. Gegen Mittag entspannte sich die Lage am Unfallort, nachdem ein Hubschrauber das geruchlose und unsichtbare Gas mit seinen Rotorblättern verwirbelt hatte.
Gegen 6.10 Uhr war nach den Angaben von Feuerwehr und Polizei in einer Kiste mit Sägespänen in der Lagerhalle aus noch unbekannten Gründen ein Feuer ausgebrochen. In der Halle lagern rund 500 000 Liter Lacke. Die Feuerlöschanlage sprang an - sie versprüht normalerweise CO2 und entzieht so dem Feuer den Sauerstoff.
Durch den technischen Defekt ging sie nach dem Löschen aber nicht wieder aus; der CO2-Tank wurde fast völlig geleert, das gefährliche Gas schoss hoch aus der Anlage in die Luft, senkte sich dann zu Boden und strömte auch in die rund 50 Wohnhäuser rund um das Industriegebiet.
"Plötzlich hat unsere Labrador-Hündin Laika gebellt und ist nervös auf und ab gesprungen", erzählt Anwohner Michael Feldges. Als er mit dem Tier 'rausgeht, wankt der Hund. Da dreht Feldges auf dem Absatz um, packt seine zehn und zwölf Jahre alten Kinder und flieht weg von der Fabrik in Sicherheit.
In der ersten Zeit nach dem Unfall sammelte sich das Gas, das schwerer ist als Luft, in gefährlichen Konzentrationen neben der Fabrik. Es war an dem Morgen völlig windstill, und das Gewerbegebiet liegt außerdem in einer Senke. So konnte sich die nach dem Unfall aufgewirbelte Gaswolke in dicken Schichten übereinanderlagern.
So dicht war das Gas, dass die Motoren der ersten Feuerwehr- Fahrzeuge beim Einfahren in die Wolke wegen Sauerstoffmangels ausgingen. Drei Feuerwehrleute stiegen ahnungslos ohne Atemschutz aus - sie dachten zu dem Zeitpunkt noch an einen gewöhnlichen Brandeinsatz - und fielen sofort in Ohnmacht, berichtet Feuerwehrchef Jörg Lampe.
Dieselbe Erfahrung machte Bauarbeiter Bernd Wintzen, der mit seinem Lastwagen durch das Gewerbegebiet kam. "Als der Motor ausgeht, steige ich aus. Plötzlich ist die Luft weg, die Lunge zieht sich zusammen." Wintzen brach zusammen und wachte erst im Sauerstoffzelt wieder auf.
Sobald die Dimension des Unfalls klar war, lösten die Behörden Großalarm aus. Rund 400 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Rotem Kreuz, Johannitern und Maltesern waren nach kurzer Zeit am Einsatzort, der im Umkreis von zwei Kilometern gesperrt wurde. Die Anwohner der 50 Häuser neben der Fabrik wurden in Sicherheit gebracht.
In Notfallzelten wurden sie untersucht, danach bekam jeder eine Plastikkarte um den Hals gehängt: Rot steht für "Einlieferung ins Krankenhaus", gelb für "leicht verletzt", grün für gesund. Schwarze Karten für Tote kamen zum Glück nicht zum Einsatz. Die Rettungskräfte waren perfekt eingespielt.
Am frühen Nachmittag gingen Feuerwehrleute mit Gebläsen von Haus zu Haus, um die letzten Reste des Gases aus den Kellern und unteren Geschossen zu verwirbeln. Die Bewohner warteten unterdessen geduldig und mit einem gehörigen Schrecken in den Gliedern auf die Freigabe ihrer Häuser.
Wer nicht bei Bekannten oder Verwandten unterkam, fand Platz in einem Bus der städtischen Verkehrsbetriebe. Innenminister Ingo Wolf (FDP) warf alle Wochenendtermine um und eilte zur Unfallstelle.