Logistikzentrum in Mönchengladbach Wie ein Onlinehändler bis Herbst 1000 neue Mitarbeiter finden will
Mönchengladbach. · Trotz historisch geringer Arbeitslosigkeit und andauernden Arbeitskampfs von Verdi sollen die offenen Stellen zeitnah besetzt werden.
Der Herr auf Jobsuche hat sich an diesem Freitagmorgen sehr schick gemacht. Der Mann im geschätzten Alter von gut 40 Jahren trägt einen Anzug mit Krawatte, Weste und Einstecktuch; es ist ein Anzug, der vor ein paar Jahren schon einmal besser aussah. Er setzt sich auf einen der orangefarbenen Stühle im Erdgeschoss des Vitus-Centers und wartet. Er wartet darauf, bis ihn ein Amazon-Mitarbeiter zum Einstellungsgespräch bittet.
Dafür kann man sich schon mal fein machen. Man könnte meinen, da will jemand einen Managerposten haben. Aber es geht um eine Stelle als Lagerkraft im neuen Logistikzentrum von Amazon in Rheindahlen. Arbeit mit hoher körperlicher Belastung. Amazon nennt dies gewerbliche Angestellte.
Deutsch- oder Englischkenntnisse, Volljährigkeit, Bereitschaft zu Schichtarbeit und Lasten von bis zu 15 Kilogramm heben– das sind die Einstellungskriterien. Ausbildung, Abschluss und feiner Anzug sind nicht so wichtig. Das könnte sich Amazon auch nicht erlauben. Anfang August soll das Logistikzentrum nun in Betrieb gehen. Bis zum Herbst will der Konzern allein 1000 gewerbliche Mitarbeiter eingestellt haben, vermutlich werden es schnell darauf schon bis zu 1600 gewerbliche Mitarbeiter sein. Bisher sind rund 150 Arbeitsverträge unterschrieben. Verantwortlich dafür ist Christian Clemens. Bisher haben er und die Amazon-Mitarbeiter insgesamt 1200 Bewerber-Interviews geführt. Mehr als die Hälfte davon kämen für eine Einstellung infrage, sagt Clemens. 70 bis 80 Prozent der Bewerber kämen aus Mönchengladbach, der Rest aus Neuss, Düsseldorf, Krefeld und dem Kreis Viersen. Für das Einstellungsverfahren hat der Konzern bis Ende Oktober zwei größere Räume im Vitus-Center angemietet.
Dabei ist doch die Frage: Gibt der Arbeitsmarkt in Mönchengladbach noch so viele Beschäftigte her? Die Arbeitslosenquote lag Ende Mai zwar bei 8,9 Prozent. Das klingt viel, ist für Mönchengladbacher Verhältnisse aber nah an der Vollbeschäftigung. In dieser Stadt hat man jahrelang Quoten von 15 Prozent und mehr gehabt. Ende Mai waren 12 580 Gladbacher arbeitslos gemeldet. Davon sind etwas weniger Langzeitarbeitslose, von denen sehr viele erst für den Eintritt in den Arbeitsmarkt vorbereitet werden müssen.
Mönchengladbach hat sich zu
einem Logistikzentrum entwickelt
Die Sorte Arbeitnehmer, die zupacken kann, wurde in den vergangenen Jahren in vielen neuen Betrieben gesucht. Mönchengladbach ist ein Logistikzentrum geworden, und sehr viele Unternehmen tun sich inzwischen schwer, Stellen in der Logistik mit geeigneten Kräften nachzubesetzen. Esprit, Zalando, C&A und alle anderen waren eben schneller als Amazon. Nach Einschätzung der Arbeitsagentur habe Zalando vor einigen Jahren den Arbeitsmarkt mächtig aufgewirbelt. „Wir erwarten bei Amazon nicht ganz den vergleichbaren Effekt“, sagte Angela Schoofs, Chefin der Arbeitsagentur Mönchengladbach, zu Jahresbeginn. Dennoch: Amazon biete große Chancen für Arbeitssuchende. Der Konzern selbst erklärt: „Wir haben in Mönchengladbach derzeit noch sehr guten Zulauf“, sagt Christian Clemens. Auch der Zulauf aus der Arbeitsagentur sei sehr gut.
Die dürften sich auch nicht vom öffentlichkeitswirksamen Arbeitskampf abhalten lassen, den die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi seit mehr als fünf Jahren gegen Amazon führt und auf den Abschluss eines Tarifvertrages pocht. Amazon sei schließlich Online-Händler und müsse auch so bezahlen. Der Riese aber hat sich bisher nicht auf entsprechende Gespräche mit Verdi eingelassen und beharrt darauf, die Löhne für die Angestellten lägen bereits am oberen Ende dessen, was in der Branche gezahlt werde. In Mönchengladbach bietet Amazon einen Stundenlohn von 11,27 Euro. Arbeitnehmer können bei einer 40-Stunden-Woche im Durchschnitt so auf knapp 2000 Euro brutto im Monat kommen.