Museum Schloss Rheydt: Tagebuch eines Spions

Aufzeichnungen von 1827 zeigen, was der Spross einer einflussreichen Rheydter Familie in englischen Fabriken herausfand. Das Museum ergatterte die Papiere mit viel Mühe.

Mönchengladbach. Hastig hingeschriebene Zeilen, fragmentarische Skizzen und das Ganze zum Teil auf losen Blättern. Spektakulär wirkt das neue Ausstellungsobjekt auf den ersten Blick nicht. Dennoch ist das Museum Schloss Rheydt stolz auf das Reisetagebuch aus dem Jahr 1827. Es wird in der kommenden Sonderausstellung „Der Stadt ein Rathaus — den Bürgern ein Fest. 1836 Stadt im Aufbruch“ (siehe Kasten) gezeigt.

Hinter den Aufzeichnungen verbirgt sich eine spannende Geschichte. Der Verfasser, Wilhelm Dietrich Lenssen, ist Spross der einflussreichen Rheydter Familie Lenssen. Im Alter von 22 Jahren reiste er über Antwerpen nach London, Manchester und Liverpool. Diese Fahrt ist in seinen Papieren überliefert.

Zwar war das Reisen von Bürgersöhnen zur Bildung in damaliger Zeit üblich. Doch in diesem Fall hatte es etwas Besonderes damit auf sich. Denn Wilhelm Dietrich betrieb Industriespionage. Er besuchte englische Fabriken und beobachtete die Abläufe an den mit Dampfkraft betriebenen Webstühlen und -maschinen.

England und insbesondere Manchester waren Vorreiter in der Textilproduktion und arbeiteten bereits seit den 1780er Jahren mit Dampfmaschinen. Die Ausfuhr und Weitergabe von Informationen über diese Produktionsweise standen unter hoher Strafe.

Also blieb nur die Möglichkeit, sich die modernen englischen Geräte vor Ort anzusehen. Den Aufzeichnungen und Skizzen von Lenssen ist die große Eile anzusehen, mit der er schreiben und skizzieren musste. 1827, noch im selben Jahr seiner Reise, stellte die Firma Lenssen und Beckenbach die erste Dampfmaschine der Gegend auf. In der Stadt Gladbach sollte eine erst 1833 folgen.

Der letzte Hinweis auf das Originaldokument ist im Rheydter Jahrbuch von 1979 zu finden. Auf der Suche nach dem perfekten Dokument für die geplante Ausstellung ergaben erste Nachforschungen, dass in Mönchengladbach heute niemand mehr weiß, wo sich das Tagebuch befindet. Auch die 1979 genannte Besitzerin, wohnhaft in Bad Sachsa, war mittlerweile verstorben.

Doch die zuständige wissenschaftliche Projektleiterin im Museum Schloss Rheydt, Eva Uebe, ließ nicht locker. Mit Hilfe des Stadtarchivs wurde eine weitere Spur gefunden: Verwandte in Dinslaken, in deren Besitz sich ein Teil des Nachlasses der Familie Lenssen befinden sollte. Doch auch dort war das Tagebuch längst nicht mehr. Es sollte zu Fritz Lehwald nach Essen gekommen sein, einem Großneffen des ehemaligen Rheydter Bürgermeisters Paul Lehwald. Eine heiße Spur. Doch Lehwald hatte das Tagebuch vor Jahren an ein süddeutsches Archiv abgegeben.

Uebe ließ sich nicht entmutigen. Sie überzeugte Lehwald, dass das Tagebuch einfach nach Mönchengladbach gehöre. Und Lehwald schaffte es, dem Archivleiter in Süddeutschland genau das klar zu machen. Jetzt sind die Papiere „zu Hause“ angekommen.