Neuwerk bekommt nicht genug vom Karneval
Mehr als sechs Stunden dauerte die Sitzung der „Uehllöeker“ in der Krahnendonkhalle.
Karneval und Flüchtlinge kommen sich in diesen Wochen nirgends so nah wie in Neuwerk. Auf dem Weg vom Parkplatz zur Krahnendonkhalle ziehen an diesem Abend viele der wild kostümierten Gäste direkt an einer der Notunterkünfte für Asylbewerber vorbei. Und sorgen für riesige Augen und einen offenen Mund bei einem vielleicht fünfjährigen syrischen Mädchen. Viele lächeln sie an, um ihr wenigstens auf diese Art zu sagen, dass sie ihren Augen trauen darf und alles in Ordnung ist. Drinnen hält später Bernd Gothe, der Vorsitzende des Mönchengladbacher Karnevalsverbandes, mitten in der Ausgelassenheit einer Party auf der Bühne eine leidenschaftliche Rede für Humanität: „Wir sind eine weltoffene Stadt und eine Stadt mit Herz. Wir müssen dieses Herz weitergeben an die Menschen, die in Not zu uns kommen.“ Gothes Stimme, die sich um diese Zeit der Session sonst schon öfter verabschiedet hat, ist in beachtlicher Spätform. Drum kann er auch noch schelmisch in den Saal donnern, dass er den Düsseldorfern Asyl angeboten hat, falls deren Rosenmontagszug doch noch ausfallen sollte. Und stolz erzählen, dass er es mit seinem Karnevalsflyer für Flüchtlinge in elf Fernsehstationen gebracht hat. „Da braucht die Marketinggesellschaft mehrere Jahre zu. Wir schaffen das in drei Tagen.“
Was folgt, ist eine typische Neuwerker Sitzung. Und das heißt: die volle Karnevalsdröhnung mit Party-Musik, Travestie (die in Neuwerk eine lange Karnevalstradition hat), Büttenrede, Comedy, Bauchredner und Tanz. Mehr geht nicht. Es muss dringend mal gesagt werden: Die Neuwerker haben mit Willi Kleuser nicht nur den souveränsten und originellsten aller Gladbacher Sitzungspräsidenten, sie haben auch, um mit Kleuser zu sprechen, „ein Sahnepublikum“. Das kann nämlich Party mit Mitsingen und Tanzen, wovon die Garderottis, Kölschraum, die Micky Brühl Band und ganz am Ende die Mennekrather profitieren. Es kann aber auch großes Gefühl und bereitet den Red Shoe Boys einen fast schon triumphalen Empfang und setzte trotz Zeitverzugs gegen den kapitulierenden Willi Kleuser eine Zugabe durch.
Das Publikum in Neuwerk kann aber auch die Klappe halten, wenn das geboten ist — und genau das ist im Karneval leider selten geworden. „Et Rumpelstielzje“ alias Fritz Schopps wirkt mit seiner durchgehend gereimten Rede im angenehmen Sinne aus der Zeit gefallen und staunt am Ende: „So eine Ruhe und Aufmerksamkeit gibt es in Kölner Sälen um diese Uhrzeit nicht. Riesenkompliment!“ Tatsächlich gehen die großen Kölner Büttenredner, zu denen Schopps seit Jahrzehnten gehört, in ihrer Heimat inzwischen aus purer Notwehr dazu über, erst dann weiter zu sprechen, wenn der Geräuschpegel im Saal das Zuhören zumindest theoretisch möglich macht. Auch der bekannte Bauchredner Klaus Rupprecht lobte auf der Bühne das aufmerksame und mitgehende Publikum ausdrücklich. Das überhörte zu vorgerückter Stunde sogar generös die bemerkenswert schiefen Töne der Live-Band zum tollen Auftritt der Tanzgarde Hoppemotzjer. Die hatten ihren Busfahrer Armin mit auf die Bühne gebracht, bauten ihn in eine der Tanznummern ein. Armin wurde vom Neuwerker Publikum wie ein Held gefeiert — und bekam spontan den Uehllöeker-Orden.
Nach knapp sechs Stunden Programm leert sich der Saal nur zögerlich. Neuwerk hat noch nicht genug vom Karneval und muss das auch nicht. Beim Zug morgen sind die Uehllöeker mit neuem Wagen am Start.