Polly ist Gladbachs Bambi
Ein Gladbacher Ehepaar hat einen seltenen Gast aufgenommen – und dem geht’s gut.
Mönchengladbach. Walt Disney hat nicht übertrieben. Polly, das echte Rehkitz, ist genau wie Bambi: Das feine Näschen, die überdimensionierten Ohren, die großen, dunklen, sanft schimmernden Augen. "Und Wimpern, um die sie jede Frau beneidet", sagt Doris Kohnen, die ihr den Hals krault, während die Kleine ihr übers Gesicht leckt.
"Bei ihrer Mutter würde sie das Gesäuge lecken, bevor sie trinkt", erklärt sie den Zusammenhang mit dem natürlichen Verhalten. Dann steckt sie dem Kitz die Flasche ins Maul - Polly saugt gierig. Inzwischen muss Kohnen das Mini-Reh noch alle vier Stunden füttern. "Anfangs war es alle zwei Stunden."
Spaziergänger hatten Polly im Alter von zirka drei Tagen und mit einem Gewicht von 1400 Gramm zusammen mit einem zweiten Kitz zu dem Haus im Wald gebracht, das Doris mit ihrer Familie bewohnt. Weil sie Erfahrung mit der Aufzucht mutterloser Wildtiere hat und das Grundstück groß genug ist, hat sie zugesagt.
"Die Leute haben uns nicht verraten, woher sie das Tier hatten", sagt sie. Immer wieder werden Tiere von Autos überfahren, vom Lärm der Menschen vertrieben - und so von ihren Kitzen ferngehalten. Polly hat es geschafft. Heute ist sie vier Kilo schwer und viel größer.
Das zweite Kitz hat nur einen Tag bei Kohnens überlebt. "Ohne Biestmilch haben sie fast keine Chance." Biestmilch ist die Milch, die die Mutter in den ersten Tagen nach der Geburt bei allen Säugetieren produziert. Sie enthält eine besondere Nährstoffkonzentration, viele Abwehrstoffe und ist nicht durch künstliche Milch zu ersetzen.
Deswegen der Appell der Tierfreundin. "Kitze, die man irgendwo findet, darf man nicht berühren, sonst nimmt die Mutter sie nicht mehr an, und sie müssen sterben." Der fremde Geruch ist es, der verhindert, dass die Ricke sie als ihre Kinder anerkennen kann. Stattdessen soll man die Tiere dem Förster melden.
Auch Pollys Näschen ist sehr fein. Ein Besucher, der in zwei Metern Entfernung versteckt in der Tür steht, verunsichert sie und sie kommt kaum aus ihrem Verschlag.
Den haben Doris und Paul vom Gästezimmer abgeteilt, Heu liegt darin, ein Napf mit Kraftfutter, einer mit Wasser. Hier lebt das Tierchen nachts.
Wenn Doris arbeitet, ist Polly in einem Gatter im Garten, das nach oben mit einem Tarnnetz gesichert ist. "Der Habicht wartet nur auf sie, und der Fuchs", sagt Ehemann Paul, der die Feinde schon beobachtet hat. "Und die Krähen wollen ihr die Augen aushacken."
Wenn Doris und Paul im Garten sitzen, darf Polly herumtollen. Dann rennt sie auf ihren dünnen Beinen in einem Affenzahn auf und ab. 1000 Quadratmeter müsse man einem Reh bieten, um es artgerecht zu halten. "Diese Infos habe ich alle übers Internet", berichtet Doris. "Ich musste ja schnell lernen, was ich dem Tier füttern darf, in Erfahrung bringen, wie die Normen für artgerechte Haltung sind." Dort gibt es auch ein Forum, in dem sich Rehhalter austauschen können.