Toter im Baum war schwer traumatisiert

Bei der Leiche soll es sich um den Jungen handeln, dessen Mutter im Jahr 2014 in Rheindahlen vom Vater getötet wurde.

Foto: Polizei MG

Mönchengladbach. Schlimmer kann eine Kindheit wohl nicht verlaufen. Bei dem Toten, der mumifiziert in einem Baum auf einem Windberger Grundstück gefunden wurde, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen 17-Jährigen mit einem tragischen Schicksal. Am 24. Januar 2014 wurde seine Mutter mit 33 Messerstichen getötet. Der Täter: sein Vater. Ein Mann, der seinen Sohn lebensgefährlich verletzte, weil dieser die Mutter retten wollte. Der Junge war damals 14 Jahre alt. Er konnte sich seinerzeit in letzter Minute aus der Wohnung in Rheindahlen retten. Er lief in ein Versicherungsbüro, erzählte den Angestellten dort, was passiert war. Die alarmierten die Polizei.

Der Junge wurde im Alter von 14 Jahren das Opfer einer Familientragödie. Das Foto zeigt die Arbeit der Spurensicherung von damals.

Foto: Polizei/hpr

Das Jugendamt hatte zwar in der Vergangenheit die Familie betreut. Aber da ging es um ein älteres Kind des Paares, das im Jahr 2005 volljährig geworden war. In der nachfolgenden Zeit gab es keine Kontakte mehr. Hinweise von Nachbarn oder anderen an den Allgemeinen Sozialen Dienst oder an die Abteilung Kinderschutz sollen nie erfolgt sein.

Erst zwei Tage vor dem blutigen Familiendrama baten die Eltern gemeinsam im Rathaus Rheindahlen um Hilfe zur Erziehung ihrer Tochter. Außerdem war an diesem Tag der Beschluss des Amtsgerichtes zum Gewaltschutzgesetz gegen den Ehemann eingegangen. Doch den ließ das Paar wieder rückgängig machen mit der Begründung, dass man sich nach 25 Ehejahren sehr gut verstehe. Hinweise, dass sich in der Familie nur 48 Stunden später eine Tragödie abspielen sollte, sah man im Jugendamt damals offenbar nicht.

Erst nach dem schrecklichen Ereignis wurden die minderjährigen Kinder in die Obhut genommen. Der 14-jährige Junge wurde nach einem langen Klinikaufenthalt in einem Heim untergebracht. Auch seine Schwester kam in eine Kindereinrichtung. Bei dem Jungen waren die äußeren Verletzungen geheilt, die inneren offenbar nicht. Laut Jugendamt war er „schwer traumatisiert“, so schwer, dass er immer wieder aus dem Heim entwich. Keine Hilfsmaßnahme soll bei ihm gegriffen haben. Allen Angeboten habe er sich verweigert. Die Nähe von Menschen soll er nicht ertragen haben. So habe er sich immer wieder auf Dächer und Bäume geflüchtet. Dort habe er auch übernachtet, sagt ein Stadtsprecher.

Das muss der inzwischen 17-Jährige wohl auch kurz vor seinem Tod gemacht haben. Er kletterte dreieinhalb bis vier Meter hoch in einen Baum und blieb dort. Woran er starb, kann nicht mehr genau ermittelt werden, weil sein hinter Ästen versteckter Leichnam erst viel später von einem Spaziergänger entdeckt wurde. Die Rechtsmediziner gehen davon aus, dass er erfror oder an einer Überdosis an Medikamenten oder Drogen starb.

Der 17-Jährige lebte wie ein Obdachloser, beging hin und wieder Diebstähle, um sich etwas zu essen kaufen zu können. Im Januar hatten seine Betreuer vom Jugendamt zum letzten Mal Kontakt zu dem 17-Jährigen. Er war auf einem Flachdach entdeckt worden. Dort hatte er sein Quartier eingerichtet. Doch auch in diesem Fall soll er sofort geflüchtet sein. Wenig später wurde ein Sicherungshaftbefehl gegen den 17-Jährigen erlassen. Der junge Mann war wegen kleinerer Delikte im Gefängnis gelandet, wurde aber im November 2016 entlassen — mit der Auflage, in eine Jugendhilfeeinrichtung zurückzukehren und sich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Der 17-Jährige verstieß gegen die Bewährungsauflagen. Lebend wurde er nicht mehr gefunden.