Kino Nina Hoss beeindruckt in neuem Familiendrama
In „Das Vorspiel“ präsentiert die Schauspielerin den Zuschauern eine komplexe Frauenfigur im Musikermilieu.
Mit Filmen wie „Barbara“ und „Rückkehr nach Montauk“, aber auch mit vielen starken Charakterrollen im Theater ist Nina Hoss berühmt geworden. Die 44-Jährige ist heute eine der populärsten deutschen Schauspielerinnen. Um zu verstehen warum, muss man sich nur eine Minute ihres neuen Films „Das Vorspiel“ ansehen: Hoss spielt in dem Familiendrama die Geigenlehrerin Anna Bronsky. Kurz vor Ende des Films sitzt sie in den Zuschauerreihen und hört ihrem Geigenschüler Alexander (Ilja Monti) bei einem Vorspiel zu. In den Wochen zuvor hat sie ihn mit dem „Presto“ von Bach so traktiert, dass er sich zuletzt weigerte, zum Unterricht zu kommen. Auf der Bühne liefert er nun eine passable Leistung ab.
Interessant ist allerdings nicht so sehr, was er vorspielt – sondern was währenddessen im Gesicht von Anna passiert. In wenigen Sekunden kann das Publikum darin den Kampf der vergangenen Wochen, Annas Zerrissenheit und Verzweiflung, aber auch das Glück darüber ablesen, dass nun doch alles klappt. Hoss schafft das mit winzigen, subtilen Veränderungen ihrer Mimik: Andeutungen von Gefühlen, Echos der vergangenen Zeit flackern über ihr Gesicht.
Anna ist eine vielschichtige Frauenfigur, die als Musikerin, Mutter, Partnerin und Liebhaberin viele verschiedene Kämpfe austrägt. Alles, was Hoss in diesem Film spielt, wirkt natürlich und echt. Ihre schauspielerische Leistung macht den Film in jeder Minute sehenswert.
Um ihren Schüler Alexander auf das Vorspiel vorzubereiten, hat Anna ihre Familie vernachlässigt. Ihren Sohn Jonas bringt sie in Konkurrenz zu ihrem Schüler, ihr Mann Philippe hat ständig das Nachsehen. Ständig ermahnt sie ihren Sohn, mehr Geige zu üben, zeichnet in seine Noten Anmerkungen, die wiederum seine Lehrerin (Sophie Rois) verärgern. Annas kontrollierenden Blicke werden auch von der Kamera gespiegelt.
Nachdem Anna in einem Konzert als Geigerin versagt hat, versucht sie Alexander mit äußerster Strenge zu Höchstleistungen anzutreiben. Alexander leidet und das Publikum leidet mit. Quälende Szene im Unterricht: Das Vorspiel steht kurz bevor, Alexanders Gesicht ist vor Stress ganz rotfleckig geworden. Er spielt wenige Takte, dann unterbricht ihn Anna: „Nochmal“, sagt sie immer wieder, und irgendwann nur noch „Nein“, „nein“, „nein“. Drei Minuten geht das so, und irgendwann können weder Alexander noch die Zuschauer es weiter ertragen. Es wird deutlich, dass Anna eigentlich nicht Alexander, sondern sich selbst bestrafen will.
„Das Vorspiel“ ist ein Film, der das Publikum an allen Emotionen intensiv teilhaben lässt. Annas Hingabe zur Musik, ihre Versagensängste und ihre Besessenheit werden greifbar und lassen einem immer wieder den Atem stocken. Bis zum Ende ist Anna unerbittlich. Nachdem ein Schüler sich den Halswirbel gebrochen hat und die tränenaufgelöste Mutter zur Schule kommt, sagt Anna: „Wenn er kann, soll er so bald wie möglich mit Üben beginnen“.