Paul McCartney Yesterday – die Melodie kam im Traum

LONDON · Paul McCartneys Leben – „Lyrics“, eine außergewöhnliche Biografie, geschrieben entlang der Songs der Beatles-Legende.

Paul McCartney backstage nach einer TV-Show in Birmingham 1963.

Foto: beck Verlag/Beck Verlag

„Unzählige Male wurde ich schon gebeten, eine Autobiografie zu schreiben, aber nie war die richtige Zeit dafür. Wenn Leute erst einmal ein gewisses Alter erreicht haben, greifen sie gerne auf Tagebücher oder Terminkalender zurück, aber solche Aufzeichnungen habe ich nicht. Was ich habe, sind meine Songs – Hunderte – und eigentlich erfüllen sie denselben Zweck. Sie umfassen mein gesamtes Leben.“

Das schreibt Paul McCartney, der mittlerweile 79-jährige Ex-Beatle. In einem Vorwort zu einem Doppelband, mehr als 870 Seiten stark, der eine ganz besondere Art von Autobiografie ist. Anhand der weltberühmten Songtexte erzählt er seine Geschichte. Und natürlich auch die der Beatles. Da gibt es zahlreiche handgeschriebene Zettel, auf die McCartney die Texte notiert hat, mit Einfügungen, Akkorden. Texte zu Stücken, die noch heute jeder mitsingen kann, wenn sie angestimmt werden, ach was, wenn man nur den Titel liest: Hey Jude, Yesterday, Let it Be, Fool on the Hill… Insgesamt 154 Stücke sind es, das erste aus dem Jahr 1956. Daran lässt sich mehr als die musikalische Entwicklung des Weltstars nachvollziehen.

Natürlich nicht aus der Analyse der Songtexte allein, nein, die Biografie ist so entstanden: Songtexte, Fotos aus der jeweiligen Zeit wurden zusammengesucht. Bei 24 Treffen unterhielten sich McCartney und Paul Muldoon, die treibende Kraft hinter dem Werk, über einen Zeitraum von fünf Jahren. In rund 50 Stunden, kamen dem Musiker immer wieder anhand der Dokumente die Erinnerungen ins Gedächtnis, die Sessions wurden aufgezeichnet, in Schriftform gebracht. Und dann in dem zweibändigen Werk nicht etwa chronologisch geordnet, sondern in alphabetischer Reihenfolge der Songtitel. Von „All My Loving“ bis „You never give me your money“ nach demselben Muster: Zunächst der Text des Stückes, der Zusammenhang, in dem es entstand, die Erinnerungen von McCartney, seine Interpretationen und ein reichhaltiges Fotoanagebot aus ebenjener Zeit.

Wunderbar zum Beispiel das ganzseitige Farbfoto vom 4. Mai 2018, als der große schlanke Mann bewusst eine Stufe von der so auf Augenhöhe stehenden Queen einen Orden verliehen bekommt. Da ist sie ihm offensichtlich nicht mehr gram über sein 1969 verfasstes Stück „Her Majesty“, in dem es heißt: „Ihre Majestät ist ein ziemlich hübsches Mädchen, aber sie hat nicht viel zu sagen…“

Die Geschichte von „Yesterday“

Die Enstehensgeschichte des Welthits „Yesterday“ lässt einen an den 2019 erschienenen bizarren Film mit eben jenem Titel denken: In der Geschichte verschwinden die Beatles aus der Erinnerung der Menschen. Nur ein erfolgloser Songwriter erinnert sich an all die Megahits, verkauft sie als eigene Kreationen und wird erfolgreich. McCartney selbst hat, als er „Yesterday“ komponiert, Zweifel, ob das wirklich „sein“ Lied ist.  Er schläft damals, es ist das Jahr 1965, in einer Dachkammer im Haus der Familie seiner Partnerin Jane Asher. Im Traum „erscheint“ ihm die Melodie. Er ist sich sicher, die muss er irgendwo gehört haben, die ist von jemand anderem. Er springt aus dem Bett, versucht den Song „nachzuspielen“, wie er sagt. Und präsentiert die Melodie John Lennon und in den folgenden Tagen auch anderen Menschen. Doch die sagen alle: Nie gehört. „Nach ein paar Wochen war klar, dass niemand den Song kannte und er nirgendwo sonst existierte außer in meinem Kopf“, sagt McCartney. Wir kennen das Ende vom Lied: Seit Jahrzehnten existiert „Yesterday“ in Millionen (und immer neuen) Köpfen.

Die Geschichte von „Let it Be“

„Let it be“ schreiben McCartney und Lennon 1970. Als die Beatles sich schon auf ihre Trennung zubewegen.  McCartney erinnert sich: „Das war eine Zeit der Veränderung. Auch weil John und Yoko zusammengekommen waren und sich das auf die Dynamik innerhalb der Band ausgewirkt hat. Yoko war plötzlich bei den Aufnahmesessions dabei, und das war schwierig. Wir haben es einfach geschluckt und weitergemacht.“ Es ist in dem Stück die Rede von von Times of Trouble (Zeit der Sorgen), von Hour of Darkness (Stunde der Dunkelheit). Und eben immer wieder dieses Let it be (Lass es sein, lass es laufen, lass es geschehen). Und dann habe auch noch in dieser Zeit eine andere Erinnerung eine Rolle gespielt, erzählt McCartney. Die Erinnerung an den frühen Tod seiner geliebten Mutter Mary, auf die er mehrfach in dem Buch zu sprechen kommt. Da erklärt sich schnell die erste Strophe: „Wenn I find myself in times of trouble, Mother Mary comes to me, speaking words of wisdom, let it be.“

Die Geschichte von „Hey Jude“

„Hey Jude“, das Stück, das so leise-melancholisch beginnt und dann doch bis heute bei den Auftritten von Paul McCartney das Publikum zu einer einzigen wogenden und mitsingenden Menge werden lässt. „Hey Jude“ heißt eigentlich zunächst „Hey Jules“. Und Jules steht für Julian. Den Sohn von John Lennon. John hatte Julians Mutter Cynthia verlassen. Das Lied soll Julian Trost spenden, schlägt den Bogen von sentimental zu lebensfroh: „Take a sad song and make it better“…. und dann das anschwellende better better better…Na na na nananana…Sie wissen schon.

Stundenlang lässt sich blättern, Bilder gucken in dieser besonderen Art von Biografie. Und dabei Beatles-Stücke oder die spätere Musik von Paul McCartney (zum Beispiel das wunderbare „Band on The Run“ von den Wings) hören. Ein nicht ganz billiges, aber gewiss originelles Weihnachtsgeschenk.