Kriminalität im Kreis Viersen Jugendliche sollen die „Kurve kriegen“

Kreis Viersen · Die Polizei im Kreis Viersen gehört nun zu den 35 Polizeibehörden in NRW, die an der Initiative „Kurve kriegen“ teilnehmen. Wie das einzigartige Programm dazu beitragen soll, Intensivtäter-Karrieren zu verhindern.

190 Kinder und Jugendliche im Kreis Viersen fielen laut Statistik der Polizei im vergangenen Jahr wegen Diebstahldelikten auf.

Foto: Bretz Andreas/Bretz, Andreas (abr)

Insgesamt 737 Tatverdächtige im Alter von unter 18 Jahren zeigt die Statistik der Kreispolizei Viersen für das vergangene Jahr. 153 davon waren Kinder unter 14 Jahren. Allein 61 von ihnen fielen aufgrund von Rohheitsdelikten wie unter anderem Raub und Körperverletzung sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit, zu denen beispielsweise Bedrohung und Nötigung gehören, auf. Bei der Altersgruppe zwischen 14 und 18 Jahren waren es 170. Um Diebstahlsdelikte ging es bei 45 Kindern. Auch 145 Jugendliche waren in diesem Sektor aktiv. Der Rest der jungen und jugendlichen Straftäter, ebenfalls zumeist Mehrfachtatverdächtige, verteilte sich auf weitere Delikte. Die Zahlen zeigen es: Es besteht Handlungsbedarf, um diese jungen Menschen anzusprechen und damit frühestmöglich einer kriminellen Karriere entgegen zu wirken.

Der Kreis Viersen ist jetzt mit einer besonderen Initiative auf dem Weg dorthin: Seit dem 1. Juli gehört die Polizei im Kreis Viersen zu den insgesamt 35 Polizeibehörden in NRW, die an der Landes-Initiative „Kurve kriegen“ teilnehmen. Was vor zehn Jahren mit acht Standorten begann, vergrößerte sich im Laufe der Jahre kontinuierlich um weitere Standorte.

Sie bilden das Team für Viersen: Vanessa van Eisden, Madeleine Geraths (vorne, v.l.), Andre Reitzer und Harald Lamers (v.l.).

Foto: Polizei Viersen

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens erweiterte das nordrhein-westfälische Innenministerium nun erneut seinen Kampf gegen die Jugendkriminalität. Die Initiative erhielt aufgrund des Jubiläums zwölf neue Standorte: Einer davon ist der Kreis Viersen.

„Wir haben zwar nicht solche Zahlen bei der Jugendkriminalität wie benachbarte Großstädte. Aber auch im Kreis Viersen ist die Klientel vorhanden, die in jungen Jahren bereits auf dem Weg in eine kriminelle ,Karriere’ startet“, sagt Kriminalhauptkommissar Harald Lamers. „Hier gilt es, frühzeitig einzugreifen und den jungen Menschen und ihren Familien aus der Kriminalität zu helfen“, ergänzt er.

Lamers und seine Kollegin Kriminaloberkommissarin Vanessa van Eisden bilden zusammen mit den pädagogischen Fachkräften vom Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM), Andre Reitzer und Madeleine Geraths, das Viersener Team. Denn nicht nur die Polizei macht die Arbeit in diesem Projekt aus, sondern auch ein Träger, der die entsprechenden pädagogischen Fachleute stellt. „Kurve kriegen“ soll Jugendhilfe und Polizei zu Expertenteams zusammenschweißen – das ist in dieser Form einzigartig in Deutschland. In Viersen wurde die Trägerschaft ausgeschrieben. Der SKM kennt sich in „Kurve kriegen“ aus, da der Verein bereits in Mönchengladbach in der Initiative mitwirkt. Das Ziel dabei ist es, so genannte Intensivtäter-Karrieren zu verhindern. Stark Kriminalitätsgefährdete junge Menschen im Kreis Viersen sollen „wieder auf Kurs gebracht“ und unterstützt werden, diesen neu eingeschlagenen Weg auch beizubehalten.

In der Praxis sieht es so aus, dass das Team gemeinsam analysiert, wer welche Straftaten begangen hat und wo außergewöhnliche Risikofaktoren vorliegen. „Wir suchen solche Familien auf und stellen das Projekt vor“, erläutert Geraths das Vorgehen. Eine Teilnahme am Projekt ist  freiwillig. Besteht Interesse,  kommt es zu einem zweiten Hausbesuch, dem eine sechswöchige Clearing-Phase folgt.

Zum Programm gehören
auch Gespräche mit den Eltern

In dieser Zeit beschäftigen sich die beiden pädagogischen Mitarbeiter mit dem Teilnehmer. Dazu gehören unter anderem das Erfassen der Biografie, aber auch zum Beispiel Gespräche mit den Eltern des Teilnehmers. „Wir beleuchten Risikofaktoren und schauen, wo können wir Schutzfaktoren schaffen können. Gibt es bereits Menschen, die positiv auf den Teilnehmer einwirken, wie zum Beispiel Großeltern oder ein Lehrer?“, führt Andre Reitzer aus.

Nach diesen sechs Wochen werden die ersten gemeinsamen, realistischen Ziele mit dem Teilnehmer besprochen. Das kann ein regelmäßiger Schulbesuch sein oder das Schaffen von Alltagsstrukturen. Die Vermittlung von weiteren Hilfsangeboten, wenn etwa eine Drogenabhängigkeit besteht, ist auch möglich. „Wir versuchen, gemeinsam neue Strukturen zu schaffen“, sagt Geraths. „Wir können auf Mittel zurückgreifen, um Freizeitaktivitäten wie Sport oder Musikunterricht möglich zu machen. Nachhilfe kann ebenso umgesetzt werden“, erläutert die pädagogische Fachkraft einige Angebote aus dem Projekt. Eine vielschichtige Netzwerkarbeit beginnt.

Vier Jugendliche im Alter zwischen 13 und 15 Jahren sind seit Beginn von „Kurve kriegen“ bereits im Kreis Viersen dabei. Alle Beteiligten sind sich einig, dass „Kurve kriegen“ eine gute Ergänzung zu den  bestehenden Angeboten der Jugendhilfe und Polizei im Kreis Viersen ist. Es eröffne zusätzliche Möglichkeiten, um junge Menschen wieder auf einen Lebensweg ohne Verbrechen zu bringen.