So lief Tag 1 Räumung von Lützerath: Vorgehen der Polizei sorgt für Kritik – zwei verletzte Einsatzkräfte

Lützerath · Der Auftakt der Räumung von Lützerath lief offenbar friedlicher als gedacht. Trotzdem gibt es Kritik am Vorgehen der Polizei. Der NRW-Innenminister kritisiert hingegen Übergriffe auf Beamte. Der Überblick.

Polizisten schleifen einen Klimaaktivisten vom besetzten Braunkohleort Lützerath weg.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Unter überwiegend friedlichem Protest hat die Polizei am Mittwoch begonnen, den von Klimaaktivisten besetzte Braunkohleort Lützerath im Rheinischen Revier zu räumen. Bis zum Nachmittag zeigte sich ein Sprecher „sehr zufrieden“ mit dem Verlauf: „Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan.“ Im Vorfeld war mit massivem Widerstand gerechnet worden. Beobachter sprachen dagegen von einer zum Teil entspannten Atmosphäre. Früh am Morgen war es zum Auftakt der Räumung im zu Erkelenz zählenden Ortsteil Lützerath zu Rangeleien gekommen. Laut Polizei wurden ein Molotow-Cocktail, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen.

Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern - dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz abgerissen werden. In Lützerath leben seit Monaten Klimaaktivisten aus Protest dagegen in leerstehenden Häusern.

Einige Klimaschützer folgten am Mittwoch der Aufforderung der Polizei und gingen freiwillig. Sie wurden vom Gelände eskortiert. Viele wollten aber weiter Widerstand leisten. „Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen“, sagte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“.

Aktivisten und Journalisten-Gewerkschaft kritisieren Vorgehen der Polizei in Lützerath

Eine weitere Sprecherin warf der Polizei einen überharten Einsatz vor. Helfer seien nicht durchgelassen worden, sagte eine Sprecherin von „Lützerath lebt“. „Jetzt gerade eben wurde erst wieder eine Aktivistin unter Schmerzgriffen rausgebracht“, sagte sie am Nachmittag. Sie habe auch von Verletzten gehört.

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) warf unterdessen der Polizei und RWE vor, die Berichterstattung von Medienvertretern zu behindern. Die Zufahrt sei teils blockiert worden von RWE und der Polizei, erklärte Gewerkschafter Jörg Reichel bei Twitter. Journalisten seien polizeiliche Maßnahmen angedroht und angegriffen worden, hieß es weiter.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisierte am Mittag Übergriffe auf Polizisten scharf. „Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen sowas machen können“, sagte Reul über die Würfe in Richtung der Beamten. Jetzt seien alle friedlichen Demonstranten in der Pflicht, sich von Aktionen gewaltbereiter Aktivisten zu distanzieren. „Man kann woanders demonstrieren, man muss denen jetzt nicht noch behilflich sein dadurch, dass man da steht und die Polizei bei der Arbeit stört“, sagte er.

Reul sprach von 350 Personen, die sich unrechtmäßig in Lützerath aufgehalten hätten. Etwa 200 Klimaaktivisten verließen nach Angaben des Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach am Mittwoch das Gelände freiwillig. Zwei seiner Beamten seien leicht verletzt worden, seien aber noch dienstfähig.

Ab Mittag hatte die Polizei damit begonnen, Aktivisten von Bäumen und Podesten zu holen. Dabei setzten die Beamten an verschiedenen Stellen Hebebühnen ein. Am Ortseingang von Lützerath begannen Bagger mit Abrissarbeiten. Auch eines der Ortsschilder von Lützerath wurde am frühen Nachmittag entfernt. Später warfen Beamte selbstgebaute kleine Holzhäuser auf Stelzen um und setzten so die Räumung fort. Nach Angaben eines dpa-Reporters wurden die Beamten dabei in dem Hütten- und Baumhauscamp von Schmährufen der Aktivisten begleitet. Die Polizei entfernte dabei zum Beispiel auch Feuerlöscher, die von den Aktivisten in den Hütten aufbewahrt wurden.

„Wir haben hier ganz überwiegend friedlichen Protest erlebt, in Sitzblockaden, auf Tripods - und das sind Protestformen, mit denen wir super parat kommen“, sagte am Nachmittag ein Polizeisprecher. Wenn die Aktivisten sich wegtragen ließen, sei das noch passiver Protest und damit ihm Rahmen dessen, was angemessen sei.

Nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Räumungsarbeiten am Abend fortgesetzt. Auf Hochständen und in den Baumhäusern harrten Aktivisten bei windigem Wetter aus. Baumaschinen fuhren hin und her, Teile von Lützerath waren mit Flutlicht hell ausgeleuchtet, andere in tiefes Dunkel getaucht. In einer Scheune holten Polizeibeamte Aktivisten von einem Hochpodest.

Für die Polizeigewerkschaft (DPolG) ist das Einsatzkonzept der Polizei bei der Räumung des Dorfes Lützerath bislang aufgegangen. „Die gezielte Kommunikation hat zur Deeskalation der Lage beigetragen“, sagte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt am Mittwochmittag. „Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen, wie der im Hambacher Forst 2018 zeigen, dass die Polizei mit erheblichem Widerstand bis hin zu aufgestellten Fallen rechnen muss.“

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg will für Proteste nach Lützerath kommen. Die Schwedin kündigte auf Twitter an, am Samstag an einer Demonstration gegen die Räumung der von Klimaaktivisten besetzten Ortschaft teilnehmen zu wollen. „Die Wissenschaft ist sich einig, die am meisten Betroffenen sind sich einig: keine fossilen Brennstoffe mehr!“, schrieb sie. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren - einen Tag vor der damaligen Bundestagswahl.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser appellierte im Konflikt um die Räumung des Braunkohledorfs an alle Seiten, keine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen. „Friedliche Proteste sind zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie“, sagte er am Mittwoch laut Mitteilung des Generalvikariats. „Zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat gehört aber auch, dass Regeln und Vereinbarungen eingehalten werden.“

(dpa/red)