Raphaelshaus: Scholten kämpft um Projekt
Leiter der Einrichtung erläutert die Vorfälle im Haus. Jugendlicher packte aus.
Dormagen. Groß war das Interesse, zahlreiche Journalisten drängten sich Donnerstag in den Raum im Raphaelshaus, in dem Hans Scholten (Foto), Leiter der Einrichtung, Stellung bezog. „Erzieher mit straffälligen Jugendlichen im Bordell“ — so oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen des Tages. Scholten betonte: Träfen die Vorwürfe gegen den Diplom-Pädagogen zu, sei das Grund für ihn als Pädagogen, sich zu schämen — aber kein Anlass, das Modellprojekt zu beenden. Genau das hat Justizminister Thomas Kutschaty am Mittwoch getan.
Seit Herbst 2012 wird im Raphaelshaus im Auftrag des Justizministeriums in einem Modellprojekt der „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ erprobt. Höchstens sieben jugendliche Intensivtäter, die einen Teil ihrer Haftstrafe verbüßt haben, leben ein bis zwei Jahre in einem extrem strukturierten Alltag in ihrem Haus, gehen zur Schule, treiben Sport, reflektieren den Tagesablauf. Nun ist das Projekt, das einzige dieser Art in NRW, in Dormagen gescheitert.
Hans Scholten sieht das nicht so. Donnerstag stellte er die Vorfälle dar und betonte („ich bin kein Inquisitor“) mehrfach, noch gehe es um Vorwürfe, nicht um Tatsachenbehauptungen: Der betreffende Diplom-Sozialarbeiter (38) stelle alles in Abrede.
Bis Weihnachten sei es gut gelaufen in der Gruppe, obwohl gleich zu Beginn des Modellprojekts drei Jugendliche weggelaufen waren. Das Konzept greift, war sich Scholten sicher. Dann kehrte ein Jugendlicher nicht aus dem Weihnachtsurlaub zurück. Die Polizei habe ihn ohne Erfolg gesucht, er selbst, so Scholten, traf ihn in seiner Heimatstadt an. Der Junge kehrte mit ihm zurück, wurde aber am nächsten Tag abgeholt und zurück ins Gefängnis gebracht. „In Fußfesseln“, wie sich Hans Scholten empört: „Das sieht doch für die anderen aus, als wären wir in Guantanamo.“
Anfang Januar fanden die Mitarbeiter dann heraus, dass in der Gruppe einige genötigt und erpresst wurden. Zwei Jugendliche mussten zurück in die JVA, diesmal mit Zustimmung des Hauses. Dann schließlich kamen die Vorwürfe heraus, um die sich jetzt alles dreht. Es dauerte fast vier Wochen, bis die anderen sechs Mitarbeiter der Gruppe misstrauisch wurden, schließlich packte ein Jugendlicher aus.
Demnach simulierte am ersten Weihnachtstag ein Gruppenmitglied eine Krankheit und band so den zweiten Betreuer. Der jetzt entlassene Sozialarbeiter fuhr mit dem Rest der Gruppe nach Düsseldorf — im Fahrtenbuch war ein Ausflug zum Aachener Dom vermerkt — dort kam es dann zum Bordellbesuch. In der Silvesternacht fuhr der Sozialarbeiter mit der Gruppe nach Köln und kam nicht um 2 Uhr, wie vermerkt, sondern um 4 Uhr nach Hause, stark betrunken, wie es heißt.
Als Scholten den Diplom-Sozialarbeiter Ende Januar mit den Vorwürfen konfrontierte, habe der „den Schlüssel auf den Tisch geknallt“ und sei gegangen. Die Vorwürfe stellt er in Abrede. Das Raphaelshaus kündigte fristlos, der Mitarbeiter ebenfalls. Inzwischen ist gegen ihn auch Anzeige erstattet.
Die Jugendlichen sind wie bericht zurück in der JVA Wuppertal-Ronsdorf. Ein 16-Jähriger flüchtete, „in Panik vor dem Gefängnis“, wie Scholten sagt. „Er flüchtete nicht vor uns, sondern vor den Bediensteten der JVA.“
Wie es weitergehen wird, ist offen. Detlef Feige, Sprecher von Justizminister Kutschaty, betonte Donnerstag, vielleicht sei das Projekt nicht das richtige für das Raphaelshaus gewesen, das sonst „mit anderem Klientel“ sehr gute Arbeit leiste. „Jetzt musste man die Reißleine ziehen.“ Vielleicht werde das Modellprojekt fortgeführt. Dass das im Raphaelshaus geschehe könnte, sei „eher unwahrscheinlich“.