Behindertengerechtes Bauen in Meerbusch Mit Rollstuhl ist das Leben ein Hindernislauf
Treppen, steile Einfahrten, enge Aufzüge – alltägliche Dinge werden für Helga Ullrich zur schmerzvollen Tortur.
Helga Ullrich muss zum Zahnarzt. Seit 2016 sitzt die 80-Jährige im Rollstuhl. Die Probleme beginnen für sie schon vor dem Eingang der Praxis in der Theodor-Hellmich-Straße. Den „normalen“ Eingang kann Helga Ullrich mit ihrem Rollstuhl nicht nehmen. Ihr Mann Lutz schiebt sie also die Garageneinfahrt hinunter, dabei drückt sie immer wieder auf die Bremsen, denn die Einfahrt ist steil. Wenn Helga Ullrich die Bremsen loslässt, droht der Rollstuhl ihrem Ehemann aus den Händen zu entgleiten. Und das ist erst der Anfang. Bis die Meerbuscherin im Kabinett ihrer Ärztin sitzt, sind es noch viele weitere, teilweise auch sehr schmerzvolle Schritte.
Eines will das Ehepaar Ullrich unbedingt klarstellen: Die Ärzte selbst können aus ihrer Sicht wenig dafür, dass der Weg in die Praxis für Behinderte so beschwerlich ist. Im Gegenteil. „Wäre der Zahnarzt hier nicht so gut, würden wir uns die ganze Mühe nicht machen“, sagt Lutz Ullrich. Das gilt auch für die Neurologin, die im selben Gebäude ihre Praxis hat. Das Ehepaar wohnt in der Nähe, der nächste gute Neurologe oder Zahnarzt, der Helga Ullrich gut behandeln könnte, sei nicht gerade um die Ecke. Die 80-Jährige Frau hatte 2016 einen Unfall, seitdem ist sie halbseitig gelähmt.
Zurück in der Garageneinfahrt. Bevor Lutz Ullrich sich auf den steilen Weg nach unten begeben hat, klingelte er bei der Zahnarztpraxis, um seinen Besuch anzukündigen. Jetzt wartet er vor der Einfahrt mit seiner Frau auf Romy Pallas, eine Mitarbeiterin an der Rezeption der Praxis. Sie macht von innen das graue Tor der Garage auf, dann eine Tür, auf der das Wort „Notausgang“ geschrieben ist. Der Eintritt ins Gebäude ist geschafft.
Im Gebäude wartet die
nächste Hürde – Treppenstufen
Auch für die Mitarbeiter der Praxis ist der Zustand eine Belastung. Innendrin ist die Praxis mit einer behindertengerechten Toilette ausgestattet. Viele Patienten im Rollstuhl habe man nicht, sagt Romy Pallas. Aber viele, die auf einen Rollator oder eine Gehhilfe angewiesen sind. Bei den Patienten der Neurologie durfte das Problem gravierender sein. „Der Aufzug ist mal wieder ausgefallen“, sagt Pallas bei einem Anruf einige Tage nach dem Termin von Helga Ullrich.
Einmal im Gebäude angekommen, wartet schon die nächste Hürde, Helga Ullrich muss die drei Stufen bis zum Aufzug überwinden. Eine Rampe gibt es dort nicht, dafür wurde ein Treppenlift angeschafft. Auf Knopfdruck fährt dieser langsam nach unten. Lutz Ullrich geht vor, bückt sich und zieht den Rollstuhl samt seiner Ehefrau auf den Lift. Er ist 82, mit seiner Muskelkraft steht und fällt der Zahnarztbesuch.
Als die Treppe geschafft ist, kommt für Helga Ullrich das Schlimmste – der Aufzug. Er ist eng, für eine Person mit Rollstuhl und mit Begleitung eigentlich zu eng. Also muss Lutz Ullrich den Rollstuhl seitlich drehen und auch die Fußstützen seiner Frau wegklappen. Er passt gerade noch zwischen Aufzugswand und Rollstuhl. „Zu dick darf der Begleiter nicht sein“, sagt er. Seinen Humor hat sich Lutz Ullrich bis heute bewahrt. Vielleicht wäre es sonst nicht auszuhalten. Denn er weiß ganz genau, dass die Füße seiner Frau gerade unter dem Rollstuhl geklemmt sind. Er weiß, dass sie deswegen Schmerzen hat. Mehr als ohnehin schon.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch – denn das Gebäude hat einen neuen Besitzer. Bei ihm will die Zahnarztpraxis die Lage schildern. Und im besten Fall einen Umbau des Gebäudes anstoßen. Lutz Ullrich, beruflich Architekt und Bausachverständiger, hat dazu eine klare Meinung. „Alles ist möglich, aber auch eine Frage des Geldes.“
Nachdem sich Lutz Ullrich am Rollstuhl seiner Frau vorbei aus dem Aufzug gepresst hat, rollt er sie in den Flur. Ein letztes Mal muss er den Rollstuhl um 90 Grad drehen und es ist geschafft: Endlich sind sie beide beim Arzt. Dort werden sie freundlich empfangen, Helga Ullrich hat eine Rose für die Praxis mitgebracht. Die Erleichterung wird nicht lange dauern. Denn gleich muss das Ehepaar Ullrich wieder nach unten. Im Fahrstuhl die Füße unter den Rollstuhl klemmen, den Treppenlift nehmen, durch den Notausgang und die Garageneinfahrt fahren. Bis zum nächsten Termin.