Das RLT zeigt das Stück der Stunde
Sahar Amini hat am RLT „Wir sind keine Barbaren!“ inszeniert.
Neuss. Mit „Wir sind keine Barbaren!“ hat der preisgekrönte Autor Philipp Löhle das Stück der Stunde geschrieben. Voll schwarzem Humor, mit vier Protagonisten, die so richtig in der Mitte der Gesellschaft stehen und plötzlich einen Fremdkörper vor der Tür stehen haben. Vor ziemlich genau zwei Jahren. In der Schweiz. Als die Eidgenossen über die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative, initiiert von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP), abgestimmt haben. Als Löhles Stück als Auftragsarbeit am Theater Bern Uraufführung hatte, war das Abstimmungsergebnis zu ahnen, aber keine Gewissheit. Erst danach stellte sich raus: Eine knappe Mehrheit votierte dafür, den Zuzug von EU-Bürgern zu beschränken.
Fast könnte man es als Prophetie bezeichnen, dass das RLT das Stück bereits vor mehr als eineinhalb Jahren auf den heutigen Spielplan setzte. Der Anlass ist längst aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden, in Zeiten von Pegida und AfD geht es heute um Menschen, die vor Krieg, Folter, vor religiösen Hetzern nach Europa fliehen. Wie der Schwarze in Löhles Stück, der an die Wohnungstür von Barbara und Mario klopft. Sie sind schließlich keine Barbaren, also nehmen sie den Mann, der entweder Klint oder Bobo heißt — sie verstehen ihn leider so schlecht —, auf. Barbara als empathischer Gutmensch, Mario, weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Der Fremde bestimmt ihr Denken und Leben — aber bleibt auf der Bühne unsichtbar, ist nur im Reden der beiden und ihrer neuen Nachbarn Linda und Paul präsent.
Regisseurin Sahar Amini reduziert in ihrer Inszenierung das Äußere auf ein Minimum, setzt auf die absurden, witzigen, schnellen Dialoge, stellt das in Löhles Text großgeschriebene „WIR“ hinterhältig-listig aus, indem sie den kommentierenden Chor aus Neusser Bürgern verschiedenster Berufe und Alter bildet. Unter der Leitung von Peter Wallgram schlägt sich der Laien-Chor höchst achtbar (von kleinen unrhythmischen Aussetzern mal abgesehen), wird zudem von Amini sehr geschickt ins Bild gesetzt.
Für den schlaglichtartigen Szenenwechsel des Stücks, für den inhaltlichen Schwerpunkt, die Angst der gesellschaftlichen Mitte vor dem Fremden, haben Ausstatter Anna Schurau und Malte Schurau eine wunderbare Entsprechung gebaut: Thuja (Lebensbaum!) in Balkonkästen, die je nach Szene hin- und hergeschoben werden können.
Mit der Heckenschere rückt der hilflose Spießer Mario ( Andreas Spaniol) jedem herausragenden Zweiglein zu Leibe, seine Frau Barbara (Linda Riebau) scheint immerhin gelegentlich von Ausbruch zu träumen, aber greift dann doch lieber zum Wasserzerstäuber. Fitness-Trainerin Linda (Alina Wolff) lebt ihr Leben zwischen Pilates und Balance-Swing, ihr Mann Paul (Stefan Schleue) ist ein Schluffi, der erst mal einen Schutzraum baut, nachdem der Fremde nebenan eingezogen ist.
Straff und geradewegs auf den knalligen Schlusspunkt zusteuernd hat Amini die Geschichte in 90 pausenlose Minuten gepackt. Ohne viel Schnörkelei, sondern nur darauf zielend, dass die markante Sprache des Textes die Selbstsicherheit einer Gesellschaft als tönern entlarvt. Das Hauptdarsteller-Quartett ist dafür ideal besetzt: Jeder typisiert seine Figur und belässt ihr doch das Menschliche. Großer Beifall für sehenswertes Theater.