Fackelzug: Bio-Sprit, WM und Hafentreppe
Auftakt nach Maß: Zuschauer bewundern 91 Großwagen, die durch Neuss rollen.
Neuss. Gewitter und heftig einsetzender Regen machen den Gang über den Parkplatz an der Rennbahn am Samstag zu einer regelrechten Schlammschlacht. Gegen 20.20 Uhr hört es zwar auf zu schütten, doch die Wetterfrage „Bleibt es trocken?“ bestimmt die Gespräche am Rande des Fackelzugs. Auch während des Umzugs tröpfelt es noch das ein oder andere Mal, doch Schützen und Besucher lassen sich den Spaß nicht verderben.
Unter Schirmen und in Regencapes stehen die Besucher eng zusammen oder verfolgen den Zug durchs nächtliche Neuss mit einem Bierchen in der Hand von den Tribünen aus. Die Ampel am Rathausturm springt auf Grün und gibt den fast 7000 Schützen den Weg frei, so dass sich der Fackelzug mit zehnminütiger Verspätung gegen 20.55 Uhr in Bewegung setzt.
91 Großfackeln schieben die Schützen durch die Stadt. Das Ergebnis wochenlanger Arbeit wird laut beklatscht. Denn die Fackelbauer haben sich wieder viele kreative Themen einfallen lassen. Die Politik wird auf den Transparenten zwar vergleichsweise schonend behandelt, aber mit den bissig-bösen Motivwagen aus dem Düsseldorfer Karneval will in Neuss ja auch niemand konkurrieren. Der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der ironisch-heiteren Seite, eine gute Mischung aus politischen und unpolitischen Wagen ist gewünscht.
Zahlreiche Schützenzüge greifen Themen auf, die in den vergangenen Monaten für Gesprächsstoff sorgten. Die Ideen reichen von Guttenbergs Doktorwürde über soziale Netzwerke und Ehec bis hin zur Rente mit 69 (Jonges vom Schlachhoff). Sportlich gesehen geht es bei vielen Lichterwagen um die nicht ganz so erfolgreiche Frauen-Fußball-WM, die etwa von der Nüsser Sondermischung, den Treuen Rheinländern oder den Kleinen Feiglingen thematisiert wird. Auch de Höppdekrate lästern über die Damen: Wir empfehlen Schwimmen, Turnen oder Leichtathletik, heißt es da.
Gern illustriert wird auch die Energiewende und der Klimawandel (Grüne Heide, Munteres Rehlein, Sängerfreunde, Klävplostere). Besonders gelungen umgesetzt wird die Idee vom Grenadierzug Zunfttreue: „Feiern mit Sonnenenergie und ohne Atomkraft“ verkünden die Grenadiere und zeigen mit Windrädern vorm Schützenzelt, wie umweltfreundlich Neuss sein könnte. Der Zug D’r Maat eraff geht noch einen Schritt weiter und textet: „Schützen-Kraft Energie erschafft.“ Bio-Sprit interpretieren die Knüver ganz anders, sie führen das E 10-Bier ein: „Was das Auto nicht verträgt, der Schütze dafür Schlange steht.“
Klar, dass bei so viel Aktivität der Schütze sein Limit erreicht: De Läppkesspöler eröffnen ein Schützen-Lazarett, in dem sich die erschöpften Marschierer erholen und die Füße regenerieren können. Die Infusionslösung spricht für sich: Altbier.
Bei den Heideröschen rückt Neuss samt Quirinus ans Wasser, beziehungsweise ans Meer, der Klimawandel ist schuld. Beifall heimst auch die Fackel der Hubertus-Hirschen ein: Sylvia Löhrmann und Hannelore Kraft treten als Gewichtheber auf: „Können Sie es stemmen? Sonst sind sie in der Klemme“, reimt der Schützenlustzug.
Bei den Comicfiguren dreht sich vieles um Cars, die Sendung mit der Maus oder Harry Potter. Die Schützen nehmen sich freilich auch zahlreicher lokaler Themen an: Janz wat Feines beschäftigt sich etwa mit Napps Dienstreise nach Dubai, der Grenadierzug Blaue Blömkes fragt „Zutritt nur für Vereinsmitglieder?“ und spielt auf die Schlüsselgewalt der Sportvereine an. Zudem ist der zehnte Geburtstag der Skihalle den Schützen ein Motiv wert. Besonders nett greifen de Pittermänner die Vorlage auf: Kleine Pinguine (Grenadiere) wedeln die Piste herunter.
Der Jägerzug Eichenlaub kritisiert mit seiner Fackel das „Millionengrab Rennbahnpark“. Das Schnee-Chaos auf Neusser Straßen wird bei einigen Zügen wunderbar aufs Transparent gebracht. Eine Rolle spielt auch die neue Hafentreppe. Die Rheinstrolche bemerken spitz zum Kanal und zu „Harnischmachers Gedächtnistreppen“ am Hafenbecken I: „Es bleibt, wie es ist: oben hui, unten pfui.“