Königsparade: Im fröhlichen Ausnahmezustand
Fast 7000 Aktive marschieren bei bestem Wetter über den Markt.
Neuss. „Und der jetzt nach vorn geht, das ist der Nickel. Der Chef von allen Schützen. Das heißt, dass es gleich losgeht.“ Es ist 11.30 Uhr, den Schützen scheint nach Tagen der Wetterkapriolen wie bestellt die Sonne, und ein kundiger Gast am Markt erklärt dem neben ihm stehenden und staunenden Japaner die (Neusser) Welt.
Der hat soeben mit seiner Familie die Edelknaben gemustert, die ein wenig aufgeregt, aber sehr korrekt auf ihre große Stunde warten. Und sich über die Sappeure amüsiert, als die auf das Kommando „Präsentiert das Gewehr“ die Äxte geraderücken. „Das ist der Oberst“, hört der Herr aus Japan dann. Ausgesprochen gut anzusehen sind Oberst Heiner Sandmann und sein Adjutant Volker Schmidtke, beide auf neuen Pferden: die zwei Apfelschimmel sind nicht nur prächtige Fotomotive, sie stehen ihre erste Königsparade auch würdig durch.
Dann die Königin, Carmen Kuhnert. Eine Erklärung erübrigt sich, als sie elegant aus der Kutsche steigt, erst für die Fotografen wartet, dann ein Interview gibt, schließlich auf dem Balkon auf die den Ehrendamen vorbehaltenen besten Plätze zugeht.
Eineinhalb Stunden, nachdem die ersten Züge zur Aufstellung über den Markt marschiert sind, spricht Thomas Nickel, Präsident des Neusser Bürger-Schützenvereins, die Begrüßungsworte. Das Komitee mit Ehrengästen, alle im Frack, wartet vor dem Rathaus.
Sichtlich gut gelaunt grüßt der groß gewachsene US-Botschafter Philip Mur-phy die Menge. Er ist Ehrengast wie auch der Hochmeister des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften, Emanuel Prinz zu Salm-Salm, und Karl Hans Arnold, Vorsitzender der Geschäftsführung des Rheinisch-Bergischen Verlags. Thomas Nickel nutzt die Aufmerksamkeit der zahlreichen Gäste, die sich am Markt drängen, um die Bedeutung des Schützenwesens in Neuss einmal mehr herauszustellen und zu betonen, dass die hier vertretenen Werte „eben nicht dem nimmersatten Zeitgeist geopfert“ würden. Auch wenn das Schützenwesen 365 Tage im Jahr seine Anziehungskraft zeige: Gerade jetzt befinde sich die Stadt in einem „friedlichen und fröhlichen Ausnahmezustand“.
Deutschlandlied, Meldung über das angetretene Regiment, die Hönesse präsentieren ihre prächtigen Blumenhörnern, die Grenadiere singen den Gästen an der Tribüne das Kirmes-Lied, das Komitee mit König Werner IV. Kuhnert nimmt seinen Platz ein, und endlich beginnt die Königsparade auch offiziell. Den „fröhlichen Ausnahmezustand“ genießen die Schützenfreunde rechts und links des Paradewegs, in den Fenstern der anliegenden Häuser, in Kneipen und Cafés und nicht zuletzt im Rathaus in vollen Zügen.
Auch die Kanzlei Hüsch ist wie in jedem Jahr Treffpunkt für Schützen, vorwiegend der Schützenlust, und Freunde. Hier staunen auch die Kinder des US-Botschafters über das Treiben auf dem Platz, und neben ihnen wartet Christoph Heusgen auf seinen Einsatz: Der sicherheitspolitische Berater der Bundeskanzlerin hat den Kontakt zum Botschafter hergestellt. Er selbst ist seit 40 Jahren als Aktiver bei der Parade dabei — und verbessert sich: 39 Mal ist er mitmarschiert, einmal musste er mit der Kanzlerin nach China. „Aber da war ich zumindest beim Königsehrenabend.“ Von der Kanzlei aus blickt er auf das Komitee, in dem natürlich auch Hermann Gröhe, der CDU-Generalsekretär, seinen Mann steht.
Um 14 Uhr beschließt das Reiterkorps die Königsparade. Kein Tropfen Regen, gute Laune überall, selbst bei Sozialdezernent Stefan Hahn: Der Grenadier, erst seit zwei Jahren dabei, musste erleben, wie das ist, wenn eine Taube gerade über dem Marschierer ein Bedürfnis verspürt und . . . Gleich drei Leute aus seinem Zug habe es erwischt, sagt er: „Das ist eindeutig eine Lücke im Sicherheitskonzept.“