Geschichte: „Gut und Blut“ für die Verfassung

Vor 165 Jahren sprach Ferdinand Lassalle vor tausenden Zuhörern am Hessentor.

Neuss. Die Lage in Preußen war höchst gespannt. Die Monarchie gab im Kampf gegen Dänemark, das sich Schleswig einverleibt hatte, nach und wollte einen Waffenstillstand schließen. Das — dadurch übergangene — soeben einberufene Frankfurter Paulskirchenparlament sah darin eine nationale Schande. Daran knüpfte sich der Kampf, die Errungenschaften der Märztage zu behaupten. In diesen Septembertagen des Jahres 1848 wurde Neuss zum Schauplatz einer der ersten Massenkundgebungen der Region.

Die Demokratischen Vereine aus Neuss, Düsseldorf, Krefeld und anderen Orten hatten aufgerufen, sich am 10. September „Nachmittags 2 Uhr zu Neuß auf der Belle-Vue“ zu treffen — auf der Rheinwiese vor dem Hessentor. Das Neußer Handels- und Intelligenzblatt, dem Demokratischen Verein nicht eben zugetan, berichtete von mehr als 3000 Menschen, andere Quellen berichteten von einer deutlich größeren Anzahl von Versammlungsteilnehmern.

Viele Redner sprachen; einer war bereits bekannt und sollte noch zur Berühmtheit werden: Der spätere Mitbegründer der Sozialdemokratie Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, trug den Massen die von ihm entworfene „Neusser Resolution“ vor. Sollte das Kabinett „in seinem strafbaren Ungehorsam gegen die Centralgewalt beharren“, so rief der junge Revolutionär den Zuhörern zu, so „werden die unterzeichneten Bürger des Rheinlandes mit Gut und Blut zu derselben halten und sie errungene Verfassung zu schützen wissen.“

Zwar bemängelte das Intelligenzblatt, es habe nicht an „aufreizenden, weit über die Gränzen eines bloßen Gegenkampfes ausfahrenden Ausdrücken“ gefehlt. Dennoch: „Die Ruhe und Ordnung ist keinen Augenblick gestört worden.“

Das sah die Obrigkeit wenige Wochen später anders. Die Lage hatte sich verschärft, und wieder kam Lassalle nach Neuss. Am 21. November sprach er im überfüllten Lokal des Wirtes Reiner Lucas, wahrscheinlich an der Oberstraße. Die Neusser sollten im Fall eines bewaffneten Kampfes in Düsseldorf mehrere strategische Stellungen in Neuss besetzen, sonst sei „die Freiheit auf lange untergraben“, wie die Neue Rheinische Zeitung berichtete.

Das war zu viel. Lassalle wurde unter dem Vorwurf „Aufreizung des Volkes zur Bewaffnung gegen die Königliche Gewalt und Erregung des Bürgerkriegs“ verhaftet, von diesem Vorwuf zwar freigesprochen, wegen „Beleidigung des Generalprokurators“ aber erneut in U-Haft genommen und verurteilt. Nach Neuss kam er nicht mehr.