Neuss: Der schmale Grat zwischen Wachen und Traum
Tanzstück: In deutscher Erstaufführung bringt das TaS ein surreales Beziehungsspiel auf die Bühne.
Neuss. Die ganze Reise über winden sich die Körper des jungen Paares umeinander. Verzweifelt sind sie um Nähe bemüht. Ebenso verrenkt wie ihre Bewegungen ist der Titel des Tanzstücks "Ich erinnere mich nicht mehr daran (aber das ist nicht wahr)", das jetzt im Theater am Schlachhof (TaS) Premiere feierte. Die junge Berliner Regisseurin Miriam Michel hat das Stück des Schweizer Autors Andri Beyeler in einer knappen und straffen Inszenierung in deutscher Erstaufführung auf die Bühne gebracht.
Die "Erinnerung" spielt in einem Eisenbahnwagen. Auf der Suche nach einem Sitzplatz hetzt ein Paar wankend und armerudernd durch die Abteile. Skurril wird die Szene zusätzlich dadurch, dass das Paar nur mit Schlafanzügen bekleidet ist. Wie in einem Traum ist die Handlung merkwürdig bruchstückhaft. Es geht um die Beziehung des Paares, um Liebe und Gewalt, Einsamkeit und Verzweiflung. Dabei bleibt offen, was wahre Erinnerung, was nächtliche Traumwelt ist.
Offensichtlich aber erinnern sich "Er", gespielt von Jens Kipper, und "Sie", dargestellt von Stefanie Rahn, an die Reise ganz unterschiedlich. Immer wieder stoßen sich die beiden dabei an ihren jeweiligen Alltagsmarotten. Er reagiert mit Aggression und Verzweiflung, sie entzieht sich ihm und flüchtet in unwirkliche Fantasien. Immer wieder eskaliert die Situation und droht in Gewalt auszuarten. Im Traum sind die Dinge oft exzessiver als in der Realität.
Die Sprache ist expressiv und direkt. Es wird geschimpft und geschrien. Dann wieder wird sie ruhiger, in seltenen Momenten gar liebevoll. Die Sprache geht den emotionalen und tänzerischen Bewegungen der Figuren nach. Auch die Requisiten werden in die Bewegungen mit einbezogen. Kleiderbügel aus Draht werden zu Perkussionsinstrumenten, Koffer und Taschen werden gerüttelt und geschüttelt. Choreografiert hat diese Rastlosigkeit Stefanie Rahn.
Im Gegensatz zu den emotionalen Ausbrüchen des Paares stehen die Tanzeinlagen der Mitreisenden. Zu den Orgelklängen bekannter Schlager wie "Liebeskummer lohnt sich nicht" oder "Marmor, Stein und Eisen bricht" verwandelt sich das Abteil unter der Anleitung von "Es", schelmenhaft dargestellt von Fernando Flores, wiederholt in einen unwirklichen Tanzsaal.
Realistisch und sachlich ist das Bühnenbild von Britta Bremer. Mit Hilfe eines Drehmechanismus erschafft sie eine Bühne hinter der Bühne und wahrt so die Intimität des Paares. Rechts und links oberhalb der Bühne hängen zwei Fernseher mit Videos von Gesichtern, die gelangweilt schauen, sprechen, singen oder Grimassen schneiden. Die Installation bringt eine zusätzliche Reflexionsebene in das Stück.