Neusser Schützenfest: Im fröhlichen Ausnahmezustand

Rekord: 7279 Schützen und Musiker marschieren am Vormittag über den Markt.

Neuss. Wer wirklich von morgens bis zum Schluss dabei war, erfuhr am späten Abend, wie lang ein Schützentag werden kann.

Im Zweifel wusste der Schütze das schon zuvor, denn die Neulinge bei der Königsparade sind nach wie vor in der Minderheit.

Vom Abholen des Königs um 7.50 Uhr bis zum Grenadierball (Start: 21 Uhr) vergingen viele Stunden — in aller Regel bei prächtiger Laune.

Eine entscheidende Frage dieses Tages: Hält das Wetter?. Schützenobermeister Martin Flecken, für vieles, vielleicht auch für das Wetter verantwortlich, schwört auf den Agrarwetterbericht. Der hat zu seiner Erleichterung schon für den Beginn des Fackelzug ein Ende des Regens vorhergesagt, und auch am Sonntag bleibt die Königsparade vom Regen verschont.

Schon lange vor Beginn der Parade sind die Tribünen besetzt. In den Diensträumen des Bürgermeisters — nein, an diesem Tag wird nicht geraucht — treffen sich Gäste.

Ehrengäste und Komitee-Mitglieder. Charles-Louis Prinz von Merode, Präsident der Europäischen Gemeinschaft Historischer Schützen, der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und der Architekt Christoph Ingenhoven dürfen in diesem Jahr als einmalige Ehrengäste mit dem Komitee die Parade abnehmen.

In einem Zimmer hängt die Sitzordnung aus. Auf dem Balkon ist die erste Reihe den fein behüteten Damen vorbehalten, in der Mitte die Königin. IM (keine inoffzielle Mitarbeiterin, sondern natürlich Ihre Majestät) Dorothee wird mit der Kutsche gebracht, die trägt lindgrün und ist sichtlich gut gelaunt.

Um 11 Uhr steigt die Spannung. Die Edelknaben stehen bereit, die Vorreiter haben die Plätze eingenommen, der Oberst und sein Adjutant, beide auf ihren Apfelschimmeln, beobachten, wie Zug um Zug über den Markt an seinen Aufstellungsplatz zieht.

Am Rand der Zugstrecke treffen sich die Experten. „Guck mal, die sind ganz golden“, ruft ein Kind, das einen unbezahlbaren Tribünenplatz auf Papas Schultern ausnutzt. „Das sind die Vorreiter“, klärt der Vater auf. Egal, Hauptsache, die beiden Reiter außen sehen so wunderschön aus.

Auch ein anderes Kind ist fasziniert von den drei unerschütterlichen Kaltblütern. „Da sind ja die Ponys“, teilt der Junge immer wieder seinen Eltern mit, und niemand korrigiert ihn.

Das Kind beweist seine Lernfähigkeit kurz darauf, als es nach diversen „Augen-rechts“-Rufen beim entscheidenden letzten Mal die kurze Pause nach „Augen . . .“ effektvoll nutzt und ein fröhliches „rechts“ dazwischenruft; ziemlich laut übrigens.

Um 11.30 Uhr eröffnet Schützenpräsident Thomas Nickel die Parade. Er grüßt die Ehrengäste, spricht vom „fröhlichen Ausnahmezustand in Neuss“ und streut wie in jedem Jahr ein paar ernste Sätze ein.

In Zeiten virtueller Freundschaft und anonymer Kontakte biete das Schützenwesen reale Freundschaft. Das sei durchaus kein Anachronismus vergangener Zeiten. „Wir sind einfach überaus lebendig“, sagt der Schützenpräsident.

7279 Aktive meldet Oberst Heiner Sandmann dem König Jörg I. Antony (Foto); mal wieder marschiert ein Regiment in Rekordstärke über den Markt.

Vom Fahnenschwingen über die Hönesse und den „Kirmes“-Gesang der Grenadiere bis zum Ende der eigentlichen Parade steht das Komitee bis gegen 14 Uhr wie eine Eins.

Die Herren machen sich dann ins Zeughaus zum Königsmahl auf; auch dies eine damenfreie Veranstaltung. Die Ehrendamen dinieren in Haus Rottels. Aber wie hat es Schützenpräsident Nickel erklärt? Die Röskes wollen es gar nicht anders, und auch für sie ist der Sonntag der schönste Tag des Jahres.

Immerhin: Noch stehen allen, Männern wie Frauen, zwei Schützenfesttage bevor.