Polizei sieht keinen Brennpunkt
Viele Anwohner der Hafenstraße fühlen sich nicht sicher. Die Beamten versuchen, sie zu beruhigen.
Neuss. Nur wenige Schritte abseits der belebten Krefelder Straße, wo Geschäfte und Cafés sich aneinanderreihen, ist die Angst deutlich zu spüren. „Gehen Sie raus, wir sagen nichts und wollen mit diesen Leuten nichts zu tun haben“, sagt die Inhaberin einer Gaststätte — und verschwindet schnellen Schrittes in der Küche. Nachfragen zum vergangenen Freitag sind an der Hafenstraße nicht erwünscht. Dabei gibt es so viele, die bislang noch nicht beantwortet werden konnten, nachdem in den späten Abendstunden rund 25 Menschen wild aufeinander eingeprügelt hatten.
„Ein junger Mann mit freiem Oberkörper hat sogar in die Luft geschossen. Seltsamerweise hat darauf keiner der Beteiligten reagiert“, sagt ein Zeuge. Wie die Polizei mitteilte, ist nach derzeitigem Stand ein Beteiligter der Schlägerei leicht verletzt. Zudem erlitten zwei Männer aus Wuppertal im Alter von 16 und 23 Jahren schwerere Stich- beziehungsweise Schnittverletzungen. Ein vorläufig festgenommener Neusser ist nicht mehr in Haft.
Für die Menschen an der Hafenstraße sind Blaulichteinsätze in ihrer Nachbarschaft nichts Neues mehr. „Es wird immer unruhiger hier“, sagt die Inhaberin eines Geschäftes. Seit rund sieben Jahren lebt sie in Neuss und beobachtet die Entwicklung nahe des Rheintors mit großer Sorge. Gerade am Wochenende seien viele betrunkene Menschen und „dunkle Gestalten“ auf der Straße. Sie gehe dann nicht mehr aus dem Haus. Erst im April dieses Jahres war es an der Hafenstraße vor einem Wettbüro zu einer Schießerei gekommen. Ein Mann wurde dabei schwer verletzt. Als Ursache für diese Auseinandersetzung gehen die Ermittler von Streitigkeiten um Geld aus. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handele es sich aber nicht um Wettschulden.
Ähnlich nebulös sind die Hintergründe des Vorfalls an der Hafenstraße am vergangenen Freitag. Die Polizei geht stark davon aus, dass es sich um eine Auseinandersetzung zweier Großfamilien handelte. Ein Anwohner, der während des Vorfalls an der Ecke zur Bleichstraße sogar „hunderte Menschen“ gesehen haben will, bestätigt: „Die treffen sich regelmäßig in einem Haus, um zu zocken. Gibt es Streit, regeln sie den lieber unter sich.“
Um ein erneutes Aufeinandertreffen der beiden Familien zu verhindern, fuhr die Polizei in der Nacht zu Samstag verstärkt Streife im Bereich der Hafenstraße. Zudem wurden die Verletzten in unterschiedlichen Krankenhäusern untergebracht. Das Schweigen der beteiligten Familien stellt die Polizei vor eine zusätzliche Herausforderung bei ihren Ermittlungen. Auch wenn Tatverdächtige das Recht haben, sich nicht zu den Vorwürfen zu äußern.
Trotz der beiden gewalttätigen Vorfälle und großer Sorge der Anwohner will die Polizei die Hafenstraße nicht als „Brennpunkt“ bezeichnen. Schließlich ließe sich eine übermäßige Anzahl von Einsätzen mit Gewaltbezug in diesem Bereich nicht feststellen. Dies habe eine aktuelle Analyse ergeben. Sowohl die Schießerei im April als auch die Schlägerei am Freitag zeichnen sich nach Polizeiangaben dadurch aus, dass die Beteiligten sich offensichtlich untereinander kannten und vorausgegangene Streitigkeiten in einer körperlichen Auseinandersetzung mündeten. Anwohner oder zufällig anwesende Passanten seien dabei jedoch nicht verletzt worden.
„Wir können aber nachvollziehen, dass ein Einsatz wie am vergangenen Freitagabend, mit einem hohen Polizeiaufgebot, in Teilen der Bevölkerung zu einer gewissen Verunsicherung führt“, sagt Polizeisprecherin Diane Drawe. Die Polizei nehme die Sorgen und Ängste der Anwohner durchaus ernst — und rät dazu, bei der Beobachtung von körperlichen Auseinandersetzungen wie am Freitag sofort den Notruf zu wählen — und die Ereignisse zu schildern.