Reise in ein Land im Umbruch
Salwa Krifa verlässt Neuss, um ein Jahr in Tunesien zu leben. Es ist ein Teil ihrer Heimat, den sie nun endlich erkunden will.
Neuss. Viele Neusser werden die temperamentvolle junge Frau kennen, die auch im größten Trubel den Überblick behält, ebenso freundlich wie energisch Bestellungen aufnimmt und an Kaffeemaschinen hantiert. Salwa Krifa stemmt mit ihrer Schwester den Betrieb bei Woyton am Markt, hat auch im benachbarten Extrablatt ungezählte Schichten gearbeitet. Jetzt verlässt sie Neuss. Für ein Jahr geht sie nach Tunesien. Am Dienstag war Abflug.
Salwa Krifa ist Deutsche, hier geboren. Doch jetzt will sie eine Auszeit nehmen und reist in ein Land im Umbruch, „das ja auch mein Land ist“, wie sie sagt. In Moers ist sie aufgewachsen, der Vater ein früher „Gastarbeiter“, Sprengbeauftragter im Ruhrgebiet. Zweisprachig ist sie mit ihren drei Geschwistern groß geworden, und arabisch, sagt sie nicht ohne Stolz, spreche sie ebenso gut wie deutsch — und das klingt akzentfrei.
Gearbeitet hat sie, seit sie 16 ist. Erst als Aushilfe, dann aufgestiegen in der Extrablatt-Hierarchie, sie hat als Küchenchefin gewirkt, Neulinge angelernt, wurde nach Frankfurt geschickt oder nach Hagen. „Ich habe es einfach gelernt, immer unter Druck zu arbeiten“, sagt sie.
Erst recht in Neuss, wo sie seit etwa eineinhalb Jahren im Extrablatt und zuletzt bei Woyton arbeitete sowie manchmal auch in beiden Läden. Es klingt nachvollziehbar, wenn die 24-Jährige jetzt fröhlich erklärt: „Ich brauche eine Pause.“
So selbstbewusst Salwa Krifa auftritt, so ist sie doch zwischen zwei Kulturen verankert. „Hier bin ich für viele die Tunesierin. Und wenn ich Urlaub in Tunesien mache, sagen sie, da kommt die Deutsche.“ Sie nimmt es ganz offensichtlich gelassen. Jetzt also ein Jahr in dem Land, das ihr auch Heimat ist; eine Heimat, die sie nun endlich erkunden will.
Ihre Eltern und zwei Brüder sind dorthin zurückgegangen, bei ihren Eltern wird sie leben, in Sousse, dem auch vielen Touristen bekannten Ort am Meer. Finanziell aber sei sie unabhängig. „Ich habe gespart, ich komme allein zurecht, auch ohne Arbeit“, bekennt sie.
Ihre Eltern freuen sich, die Schwester, die eine Weile in Tunesien gelebt hat, ist eher skeptisch. Der Vater („von ihm habe ich alles“) hat ihr erzählt, nun könne man endlich frei reden in Tunesien, über Politik sprechen, die Diktatur sei endgültig beendet. Die Tochter lässt sich von dem Optimismus anstecken, auch wenn ihr klar ist, dass es noch ein weiter Weg ist zu demokratischen Verhältnissen.
In ihrem Tunesien-Jahr wird sie eine spannende Zeit erleben, soviel ist sicher. Dass sie als moderne, selbstbewusste junge Frau auch in Sousse auf eine traditionell geprägte Lebenswelt stoßen wird, weiß sie genau „Ich will einfach wissen, wie es ist. Aber ich will auch akzeptiert werden, wie ich bin.“ Nach einem Jahr werde sie wohl nach Neuss zurückkehren, sagt sie ein wenig nachdenklich. Fehlen werden ihr die Freunde, die Schwester — „und der Käsekuchen.“