Mittelstandsbarometer im Rhein-Kreis Neuss Hohe Energiepreise sind für Unternehmen ein „echter Risikofaktor“

Rhein-Kreis · Ein „markanter Abwärtstrend“ der Konjunktur prägt derzeit die Wirtschaftslage im Rhein-Kreis. Das ist das Ergebnis der Umfrage „Mittelstandsbarometer 2023“, die am Dienstag in Neuss vorgestellt wurde.

Gemeinschaftswerk (v.l.): André Becker, Creditreform Düsseldorf/Neuss, IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz, Sparkassen-Chef Dominikus Penners und Landrat Hans-Jürgen Petrauschke stellten die Ergebnisse der Umfrage „Mittelstandsbarometer 2023“ vor.

Foto: Andreas Woitschützke

Insgesamt 500 Unternehmen in den acht Kommunen des Rhein-Kreises hat das Institut Konjunkturforschung Regional nach Auftragslage, Umsätzen, Erträgen und Personalsituation gefragt. Das Ergebnis war in allen Branchen ähnlich: Es läuft schlechter als im Vorjahr. Der aus den abgefragten Daten ermittelte Geschäftsklima-Index fällt um 14 Punkte auf einen Wert von 136. Das ist der zweitstärkste Rückgang seit dem ersten Mittelstandsbarometer 2008, nur in der Corona-Krise stürzte der Index noch stärker ab. Die Auftragsbücher sind zwar weiter voll, Umsätze und Erträge jedoch bröckeln. Gründe sind hohe Energie- und Rohstoffpreise, auch die Inflation.

Warum André Becker, Creditreform Düsseldorf Neuss, dennoch nur von einem „kleinen Absturz“ spricht, erklärt sich mit dem Blick auf das Niveau des Index. Der kommt nämlich von einem Allzeithoch – 150 Punkte – in 2022, ausgelöst durch Nachholeffekte nach dem Ende der Coronapandemie. Trotz Absturz erzielt der Geschäftsklima-Index immer noch den viertstärksten Wert seit Start der jährlichen Umfrage 2008.

Also trotzdem alles gut? „Unter dem Strich ist das Ergebnis im Wesentlichen gut“, sagt Landrat Hans-Jürgen Petrauschke, dennoch trage die Abwärtstendenz nicht zur Beruhigung bei. Auch wenn bei der Umfrage der Mittelstand im Fokus stehe, zeigten sich doch Folgen der Probleme großer Unternehmen, etwa in der Chemieindustrie in Dormagen. Wenn Produktion aufgegeben oder verlagert werde, treffe das die mittelständischen Zulieferer. „Es muss jetzt etwas passieren, damit sich der Abwärtstrend nicht verstärkt“, sagt Petrauschke. Kreis und Region könnten die entscheidenden Weichen nicht stellen, der Bund sei gefragt, etwa bei der Frage von vergünstigtem Industriestrom, der dringend benötigt werde, um energieintensive Unternehmen – etwa aus den Bereichen Aluminium, Chemie und Nahrungsmittel – im Rhein-Kreis zu halten.

Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, kann das nur unterstreichen: „Die Energiepreise sind ein echter Risikofaktor auch mit Blick auf eine drohende Deindustrialisierung.“ Speira schließe die Flüssig-Aluminium-Produktion in Neuss, Lanxess kündige Entlassungen und Schließungen in Krefeld an. Ein Gegensteuern sei dringend notwendig, so Steinmetz: „Wir können das hier nicht bewegen, aber mir müssen in der Region das Wort erheben, damit der Bund reagiert und die Unternehmen von den hohen Energiekosten entlastet.“

Als weitere Herausforderungen macht der IHK-Hauptgeschäftsführer den Fachkräftemangel aus: „Was vor zehn Jahren noch als Schreckgespenst beschrieben wurde, ist in den Unternehmen angekommen.“ Allein im Radius von 20 Kilometern um Neuss fehlten im aktuellen Ausbildungsjahr noch 220 Azubis. Darauf müssten Politik und Wirtschaft mit vereinten Kräften reagieren.

Nachholbedarf gebe es darüber hinaus auch bei positiven Signalen im Strukturwandel: Der Kohleausstieg 2030 und seine Folgen werden, auch das zeigt die Umfrage, von Unternehmen zunehmend als Risiko und Nachteil empfunden. Geplante Verbesserungen bei der Verkehrs- oder Digital-Infrastruktur seien bislang kaum zu erkennen. „Mehr Gas geben, damit der Standort attraktiv bleibt“, fordert Steinmetz.

Auch Dominikus Penners, Chef der Sparkasse Neuss, nutzt die Präsentation des Mittelstandsbarometers für einen Appell an Bund und Land: „Die Unternehmen brauchen eine verlässliche Basis für Investitionen, die in die Zukunft gerichtet sind.“ Derzeit, da deckten sich Erfahrungen der Sparkasse und die Umfrage, werde zwar viel investiert, jedoch vor allem in Technik, die helfen soll, teure Energie zu sparen, sowie in Digitalisierung und Automatisierung, um fehlende Fachkräfte auszugleichen. Investitionen in Innovation seien die Ausnahme. Ein Grund, so Penners: viele unbeantwortete Fragen zu einer sicheren Energieversorgung in der Zukunft.

Die Hoffnung im Rhein-Kreis für 2023 ruht auf einem besonders krisenresistenten, starken Mittelstand. Rainer Bovelet, Konjunkturforschung Regional, spricht mit Blick auf die globalen Risikofaktoren von einer „Art Sonderkonjunktur“ und noch immer vorhandenen Nachholeffekten aus der Corona-Krise. Da diese Effekte jedoch auslaufen, sei eine eigentlich dringend benötigte „Extraportion Wachstum“ in den kommenden Monaten allerdings unwahrscheinlich.