Sehnsucht nach Veränderung

Es mutet schon fast paradox an. Selten schien der Neusser CDU-Vorsitzende in seiner zwölfjährigen Amtszeit so unumstritten, wie nach den Erfolgen seiner Partei bei den 2017er Wahlen zum Landtag und zum Bundestag, da kündigt Jörg Geerlings seinen Rückzug aus dem Führungsamt an.

Er geht als starker Mann in einer Situation, in der nicht wenige seinen Verzicht bedauern. Keine schlechte Bilanz für ihn, der vor gerade einmal zwei Jahren um sein politisches Überleben kämpfen musste. In Kampfabstimmungen behauptete er sich als CDU-Chef, setzte sich als Landtagskandidat seiner Partei durch und holte sich das Direktmandat zurück. Der Erfolg schüttete auch Gräben zu. Heute erscheint die Neusser CDU wieder geschlossen, Geerlings arbeitet erkennbar mit den Fraktionsvorsitzenden Helga Koenemann (Stadt) und Dieter W. Welsink (Kreis) konstruktiv zusammen. Das war nicht immer so. In diesem Hochgefühl zieht sich Geerlings nun zurück, wohl auch in der Erkenntnis: Viel besser kann es nicht werden. Im Gegenteil, eine Herkules-Arbeit steht bevor: Ein Kandidat, der Bürgermeister Reiner Breuer (SPD) ernsthaft herausfordern kann, ist nicht in Sicht. Und will der neue Vorsitzende mit einer zukunftsfähigen Mannschaft in die Ratswahlen 2020 ziehen, muss er noch reichlich Talente an die operative Politik heranführen — ganz abgesehen davon, dass altgediente Platzhirsche unter den Stadtverordneten nicht kampflos verzichten werden. Und bei allem bleibt vor allem eins: Die CDU muss, wie alle anderen etablierten Parteien auch, wieder näher an die Bürger rücken. Die GroKo-Diskussion mit Hermann Gröhe war ein erster zaghafter Schritt. Demokratie wächst von unten. Die Menschen wollen mit ihren Sorgen, Wünschen und Anregungen ernst genommen werden. Sie sind es satt, von oben herab regiert zu werden. Dieses notwendige Umdenken bezeichnet die Wirtschaft als Change-Prozess — Veränderung, die im Kopf anfängt. Wer darlegt, dass er diesen Prozess organisieren kann, der hat beste Chancen, neuer CDU-Chef zu werden.