Uraufführung: „Divan“-Collage im RLT
Regisseurin Sahar Amini bringt die Bühnenbearbeitung von Goethes „West-östlichem Divan“
Neuss. Sitzkissen statt Theaterstühle erwarten die Besucher, doch von Orientflausch keine Spur. Mit seiner Bühnenbearbeitung von Goethes „West-östlichem Divan“ gewinnt das Ensemble um Regisseurin Sahar Amini dem bekannten Werk neue Facetten ab — nicht zuletzt, weil es Goethe andere Stimmen zur Seite stellt: Friedrich Nietzsche kommt ebenso zu Wort wie Adolf Muschg und der junge Autor Deniz Utlu. Am Freitag erlebte das Experiment im Studio des RLT die Uraufführung. Das Risiko hat sich gelohnt, vom Publikum wurde die Vorstellung im gut besuchten Haus mit anhaltendem Applaus quittiert.
Dabei hatte das Stück, als literarische Collage inszeniert, den Zuschauern einiges abverlangt. Vieles aus Goethes Gedichtzyklus findet sich im Stück wieder, allem voran die Vision vom Ineinanderfließen der Kulturen. Inspirieren ließ sich der alternde Dichter seinerzeit vom persischen Kollegen Hafis. Der hatte über 400 Jahre vorher geschrieben.
Die Gedichte sind nicht einfach zu konsumieren, so haben es meist nur kurze Auszüge ins Bewusstsein geschafft. „Manches kann man auf Postkarten drucken“, schreibt dazu Dramaturgin Barbara Noth.
Doch so einfach ist es nicht, weder in Goethes komplexer Textsammlung noch in der Realität. Das Stück führt dies überdeutlich vor Augen. Ost oder West, Oase oder Tanke, Burka oder Bulimie - mit diesen Schlagworten karikieren die Schauspieler Linda Riebau und Andreas Spaniol und Musiker Henning Beckmann gleich zu Beginn die Neigung zum Denken in Gegensätzen.
Überhaupt zeichnet sich das Stück durch seinen fragmentarischen Charakter aus: persischer Gesang, ein Märchen und visionäre Bruchstücke aus einer Welt des scheinbar friedlichen Zusammenlebens. Die Nachbarn sind umgänglich, man trifft sich beim Gottesdienst, und die Leichenberge werden jetzt zweimal wöchentlich von der Straße geräumt. Wann und wo? Wir erfahren es nicht. Vieles bleibt offen nach 70 Minuten szenischer Rezitation, und gerade dies zeichnet das Stück positiv aus. Letztlich hinterlässt die Suche nach dem Sehnsuchtsort eine nachdenkliche Stimmung. Eine Art Schlusswort hat Regisseurin Amini für Nietzsche reserviert, der schrieb: „Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade du über den Fluss des Leben schreiten musst.“ Noch ein Postkartenspruch? Vielleicht. Aber einer, der sich gegen ein leichtfertiges Abnicken sperrt.
“ Der nächste Termin: Freitag, 16. November .