Was Kardinal Frings vor 70 Jahren predigte
An Silvester 1946 hielt der gebürtige Neusser die berühmte Rede vom Nehmen in der Not.
Neuss. Das neue Wort ging sofort wie ein Lauffeuer durch Köln. „Fringsen“ heißt es in Anlehnung an den populären Josef Kardinal Frings, und es bedeutete ein kleines Stück Hoffnung, Es war der Abend des 31. Dezember 1946, als der gebürtige Neusser in der Kirche St. Engelbert im Kölner Stadtteil Riehl seine legendäre Silvesterpredigt hält. „Wir leben in Zeiten“, sagt er, „da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“
Stehlen aus der blanken Not der Nachkriegszeit heraus wird von nun an im Volksmund „Fringsen“ genannt. „Die berühmte Silvesterpredigt von Josef Kardinal Frings gehört noch heute zur Erinnerung der Nachkriegsgeneration und begründet die anhaltende Popularität des Neusser Ehrenbürgers“, schreibt Quirinus C. Greiwe für die in Neuss ansässige Josef-Kardinal-Frings-Gesellschaft. Mit seinen Worten sprach Frings den harten Alltag der Menschen an — und berührte sie. In den kalten Nachkriegswintern fehlte es an beinahe allem fürs tägliche Überleben.
Die Silvesterpredigt blieb jedoch nicht ohne Folgen — auch, weil unterging, was Frings gleich im Nachgang seines berühmten Satzes sagte: „Aber ich glaube, dass in vielen Fällen weit darüber hinausgegangen worden ist. Und da gibt es nur einen Weg: Unverzüglich unrechtes Gut zurückgeben, sonst gibt es keine Verzeihung bei Gott.“ Doch weil dies gerne übersehen wurde, bekam der Kardinal Ärger mit den britischen Besatzungskräften. Frings-Biograf Norbert Trippen erinnert daran, dass Zivilgouverneur William Asbury aus Düsseldorf wissen ließ, die Predigt sei missverständlich und könne von der Bevölkerung als Aufforderung verstanden werden, „das Recht in die eigenen Hände zu nehmen“. Er forderte eine öffentliche Klarstellung. Es wurde ein Termin zur Aussprache festgelegt. Doch als Frings am 16. Januar 1947 auf Asburys Dienstsitz eintraf, war der Militärgouverneur nicht da. Zwar richtete ein Oberst aus, dass er jeden Moment eintreffe. Doch nach einer Viertelstunde des Wartens machte sich Frings wieder auf. Überliefert ist der Satz an seinen Chauffeur: „Jetzt schleunigst weg, es konnte gar nicht besser gehen.“ Er wurde von Asbury nicht erneut einbestellt.