Wertvoller Textilfund aus dem Mittelalter steigert die Bedeutung von St. Quirin
Stoffrest in einem Sarkophag wird als islamischer Goldbrokat aus dem 12. Jahrhundert identifiziert.
Neuss. Ein kleines Stück Stoff genügt, um Wissenschaftler in schiere Begeisterung zu versetzen. Nicht einmal zehn mal zehn Zentimeter groß ist das dunkelrote Stück, dessen brüchige Fasern auch einen Laien ahnen lassen, wie alt es sein muss. „Das ist etwas ganz Besonderes, eine Sensation“, schwärmt Carl Pause, Kurator für Archäologie und Stadtgeschichte am Clemens-Sels-Museum.
„Als 1989 unter einem romanischen Fußboden in St. Quirin ein Sarkophag geborgen wurde, hielt man das Stück Stoff zwischen den Keramikresten für Leinen“, sagt Tanja Potthoff von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Durch die Lage im Grab hat es sich verfärbt. Es war ursprünglich leuchtend Rot und Gelb.“ Hergestellt worden sein soll es im 12. Jahrhundert in Spanien, zur Zeit der islamischen Almohaden, als das Land bekannt für die Textilproduktion war.
In einem Forschungsprojekt haben Wissenschaftler herausgefunden, dass es sich um einen kostbaren islamischen Goldbrokat handelt. Die Textilrestauratorin Laura Peters hat ihn an der Fachhochschule Köln untersucht.
Am Freitag wurde er nun auf einem Kolloquium erstmals gezeigt, in einem gepolsterten weißen Kästchen liegend, das nur mit Baumwollhandschuhen angefasst wird. „Der Handschweiß ist gar nicht gut“, erklärt Potthoff. Gleiches gilt für Licht, Luftfeuchtigkeit und Temperatur. „Um den Stoff ausstellen zu können, müssen wir uns etwas einfallen lassen“, sagt Pause.
„St. Quirinus ist eine der am traditionsreichsten erforschten Kirchen im Rheinland. Seit 130 Jahren werden Ausgrabungen durchgeführt“, sagt Projektleiter Professor Bernd Päffgen. „Dann der Paukenschlag: Der erste Textilfund ist gleich ein unbezahlbarer mit einem extrem hohen wissenschaftlichen Wert, wie er sonst in Sarkophagen von Kaisern zu finden ist. Er wertet das Stift St. Quirinus unheimlich auf“, jubelt Pause. „Das stellt die Geschichte in Neuss auf den Kopf: Wir müssen davon ausgehen, dass St. Quirinus eine wesentlich größere Bedeutung hatte als angenommen.“
Mit dem Stoff war ein Holzbrett bespannt, das in dem Sarkophag als Kopfkissen diente. Potthoff ist sicher: „Eine Äbtissin wurde zwischen 1180 und 1250 darin bestattet, entweder Sophia von Altenahr oder Sophia von Wevelinghoven.“
Damals war die Basilika noch eine Baustelle — laut Pause war die Bestattung in einer unfertigen Kirche allerdings nichts Ungewöhnliches.