Wie „angekommen“ fühlen sich jüdische Einwanderer?
Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage gibt eine Ausstellung Antworten.
Neuss. Sie war 26 Jahre alt, als sie ihre Heimat verließ und nach Deutschland kam. Zum Angekommen-Sein könnte die heute 40-jährige Svetlana Jebrak, die seit einigen Jahren in Heidelberg lebt, wohl einiges aus eigener Anschauung erzählen. Aber gemäß ihrer Profession — sie ist promovierte Historikerin, hat im In- und Ausland studiert — ging sie systematisch und wissenschaftlich-neutral an das Thema heran, das in diesem Jahr die Jüdischen Kulturtage bestimmt: „Angekommen?!“
Zusammen mit ehrenamtlichen Leiter des Jüdischen Museums Westfalen in Dorsten, Norbert Reichling, hat sie in einer Ausstellung „Lebenswege jüdischer Einwanderer“ zusammengestellt, die kurz und prägnant, mit Fotos und in sehr persönlichem Ton die Erfahrungen vornehmlich aus der Ukraine eingewanderter Juden vermitteln.
Wie ein kleiner Wald sind die Ständer mit den Text- und Fotofahnen im Foyer der Stadtbibliothek drapiert — sinnbildlich für Bäume, die mal mehr, mal weniger Wurzeln ausgebildet haben. Denn unter den 24 Porträtierten gibt es solche, die alles dransetzten, in der neuen Heimat Boden zu gewinnen, und solche, die sich schwertaten und immer noch tun. Allen, ob den Zufriedenen, den Zweifelnden, den Alten, den Jungen, hat Jebrak die gleichen Fragen gestellt: Woher kommen sie? Warum Deutschland? Welche Erfahrungen haben sie in der früheren und in der neuen Heimat gemacht? Welche Rolle spielen die Jüdischen Gemeinden? Welche Formen des Jüdischseins wollen sie leben, welche Zukunftsperspektiven haben sie?
Aus den Antworten schälen sich die Biografien heraus, als schlichte Darstellung unter dem Verzicht jeglicher Interpretation. Zitate heben wie Überschriften Kernaussagen hervor: „Ich möchte, dass die Deutschen sich mit mir unterhalten, nicht weil ich Jude bin, sondern weil ich Ich bin“, sagt Felix Lipski, Jahrgang 1938. „Wir reisen wie die deutschen Weltmeister, nur mit weniger Geld“, sagt Hanna Giltmann, Jahrgang 1948. „Wir sind noch auf dem Weg“, sagen Sofia Mill (1949) und Grigori Goz (1947). Und die Jüngeren? Ksemia Glas, Jahrgang 1990, fühlt sich jüdischer als ihr Vater — aber mitten in Dortmund. Oleksandr Bokdanov, Jahrgang 1967, hingegen sucht noch. Er gehört zu den vielen jüdischen Auswanderern, die in ihrer alten Heimat Beruf und Arbeitsplatz hatten, in Deutschland dagegen mit nichts wieder neu anfangen mussten. Denn viele Ausbildungen und akademische Abschlüsse wurden nicht anerkannt. Chirurgen mussten als ungelernte Kräfte arbeiten, Ingenieure als Kellner. Sie alle kamen Ende der 1990er Jahre nach Deutschland, als sogenannte Kontingentflüchtlinge. 220 000 Auswanderer jüdischen Glaubens sind seitdem aus dem Osten gekommen. Inzwischen wächst eine in Deutschland geborene neue Generation heran — wie Svetlana Jebraks vor sechs Woche geborene Tochter Benita Sophia, die die Ausstellungseröffnung einfach verschlief.