NRW-Politik Scharrenbach: „Es gilt das Wort des Ministerpräsidenten“

Interview | DÜSSELDORF · Heimat- und Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) über die Altschuldenproblematik der Kommunen und die Probleme auf dem Bau

Ina Scharrenbach (CDU), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in NRW.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Für das Thema der Altschulden der Kommunen in NRW gibt es noch immer keine Lösung. Ein Anlauf der Landesregierung in 2023 war gescheitert. Rund 20 Milliarden Euro an alten Kassenkrediten in NRW belasten die Handlungsfähigkeit vieler Städte. Jetzt sollte es eine Lösung in 2025 geben. Aber bleibt es wirklich dabei? Und welche Rolle wird dabei der Bund spielen, der ebenfalls Hilfe versprochen hatte? Fragen an Ina Scharrenbach (CDU), Heimat- und Kommunalministerin in Nordrhein-Westfalen.

Frau Scharrenbach, wir möchten gerne mit Ihnen über das Thema Altschulden in den Kommunen sprechen. Die Landesregierung hat eine Lösung für 2025 angekündigt. Ein erster Versuch war gescheitert. Bleibt es dabei?

Ina Scharrenbach: Das haben wir 2023 im Spätsommer verständigt.

Wird das eine Lösung mit dem Bund sein, oder ist die weiter nicht in Sicht?

Scharrenbach: Das Bundesfinanzministerium hat eine Fortsetzung der Gespräche mit uns für den 5. Juli dieses Jahres geplant. Das ist für uns zu spät, weil wir für den nächsten Landeshaushalt dann schon den Eckwertebeschluss haben.

Haben sie den Eindruck, dass der Bund sich noch beteiligen will?

Scharrenbach: Geplante Gespräche dazu mit dem Bund im November 2023 sind bundesseitig von der Tagesordnung genommen worden. Ich war davon ausgegangen, dass der Bund damit raus ist, zumal mir bei der Haushaltslage die Fantasie fehlt, wo der Bundesfinanzminister jetzt 15 bis 20 Milliarden Euro wegnehmen will. Geld, dass es für vier betroffene Länder brauchen würde. Deswegen kam es für mich durchaus überraschend, dass der Bund jetzt ein neues Zeichen setzt.

Sie müssten aber auch ohne Bund zu einer Lösung kommen, wollen Sie Wort halten.

Scharrenbach: Wir schauen bei der Landeshaushaltsaufstellung, was in welcher Form und mit welcher Handlungsoption geht.

Reden wir am Ende über eine Lösung, die eigentlich längst abgeschrieben ist?

Scharrenbach: Nein. Aber wir müssen uns schon überlegen, wen wir in eine Lösung reinnehmen wollen. Manche Städtehaben ausgeglichene Haushalte, aber Altschulden. Klar ist doch: Die Diskussionslage zwischen den drei kommunalen Spitzenverbänden ist im Vergleich zur Lage vor zwölf Monaten eine ganz andere. Im Sommer 2023 hatten Städte- und Gemeindebund und der Landkreistag für unsere angedachte Lösung eingeschlagen. Nur der Städtetag hat gesagt: Wir schlagen nicht ein, weil das Land zu wenig Geld eingelegt hat. Hätten sie damals zugestimmt, hätten wir jetzt einen Altschuldenfonds und einen Investitionspakt. Jetzt ist die Situation eine andere.

Welche?

Scharrenbach: Jetzt haben nahezu alle Mitgliedskommunen der drei kommunalen Spitzenverbände Probleme: Viele Flüchtlinge, gestiegene Zinsen, zwei Tarifabschlüsse, das Deutschlandticket, all das wirkt auf die Finanzen der Kommunen. Auch die wirtschaftliche Jugendhilfe läuft aus dem Ruder. Die Ausgabenseite läuft weg. Und auf der Einnahmenseite kommen jetzt auch noch die Gewerbesteuer-Einschläge. So bleibt nur der Weg in neue Liquiditätskredite. Diese Gesamtgemengelage trifft fast alle Kommunen. Und erschwert auch die Rolle des Landes, wenn wir das jetzt erneut verständigen wollen.

Eine Lösung mit dem Bund sehen Sie also nicht ernsthaft?

Scharrenbach: Mein persönlicher Eindruck ist: Ich mag es nicht, wenn mir eine andere Ebene immer Karotten vor die Nase hängt und sie wieder wegzieht, wenn man zufassen möchte. Das gehört sich nicht. Bundesfinanzminister Christian Lindner wollte seinerzeit ein Wiederverschuldungsverbot. Als wir das nun in der Gemeindeordnung für neue Kredite ab 2026 hinterlegt haben, kam Kritik aus den Städten, die ich auch verstehe. Denn wenn diese irgendwann keine Liquiditätskredite mehr aufnehmen dürfen, dann können sie möglicherweise gesetzliche Sozialleistungen nicht mehr bedienen. Deswegen will ich jetzt wissen, was für ein Wiederverschuldungsverbot der Bund haben will. Wenn der Bundesfinanzminister jetzt sagen würde, dass ihm für das Thema Altschulden das Geld fehlt, dann wäre das ja in Ordnung, das bekommt ja ohnehin jeder mit.

Trotzdem erwarten die Kommunen, dass das Land hilft. Auch hier ist die Kassenlage eher prekär.

Scharrenbach: Der Ministerpräsident hat das Ergebnis verständigt, insofern gilt das Wort des Ministerpräsidenten.

Wuppertal, so sagte es kürzlich der CDU-Chef Johannes Slawig als ehemaliger Kämmerer der Stadt, könne wegen der Altschulden derzeit Schulen nicht bauen und werde dafür von der Bezirksregierung gemahnt.

Scharrenbach: Das ist mir zu einfach. Für alle Ebenen gilt: Wenn kein Geld da ist, muss man - bitte nicht falsch verstehen - kreativ werden. Die Kommunen müssen alle in Schulen investieren. Wuppertal hat eine hohe Investitionsquote. Wir investieren etwa mit der Städtebauförderung, um Investitionsvorhaben der Stadt zu ermöglichen. In der aktuellen Lage ist es wichtig, klare Prioritäten zu setzen. Ich kenne fast keine Stadt, die sich nicht mit Schulneubauten auseinandersetzt. Dazu kommt zum Beispiel auch die Vorbildwirkung der Kommunen bei der Umsetzung des Gebäudeenergiegesetzes für die öffentlichen Kommunalgebäude.

Kürzlich kündigte das Aktionsbündnis für die Würde unserer Städte an, dass die Kommunen genau das alles nicht umsetzen können.

Scharrenbach: Das ist mir zu viel Wehklagen. Das überträgt sich in die Bevölkerung. Ich kann nicht permanent Nachrichten in die Bevölkerung kippen, was alles nicht geht. Wir müssen jetzt das politisch Wünschenswerte vom Machbaren abtrennen. Jetzt heißt es: Prioritäten setzen. Wenn die Priorität Gebäudeenergetik und Schulen ist, dann ist eben genau das die Priorität.

Gibt es zum Ende der Legislatur eine Lösung der Altschuldenproblematik in NRW?

Scharrenbach: Es wird sicher eine Herangehensweise geben.

Die Baukrise ist gewaltig, sie haben dem Bund die Verantwortung dafür gegeben. Was macht NRW besser?

Scharrenbach: Der Bund hat das Bauplanungsrecht, die Länder sind für das Bauordnungsrecht zuständig. Wir erlassen über die technische Baubestimmungen DIN-Normen. Darauf haben wir Einfluss. Wir haben uns letztes Jahr mit den Ländern darauf verständigt, nur noch Normen einzuführen, die entweder nicht zu Baukostensteigerung führen oder eben einen echten Mehrwert in der Sache schaffen. Zudem gibt es einen Großteil an DIN-Normen, die nicht durch die Regierungen auf den Weg gebracht werden. Ich bin der Auffassung, dass wer Komfort will, das auch bauen kann. Aber Exklusivität per Vorschrift darf nicht mehr sein. Das ist keine Politik für die breite Masse.

Was also tun?

Scharrenbach: Die Landesbauordnung haben wir bereits ordentlich entbürokratisiert. Jetzt fragen wir die Praktiker, an welchen Stellen unterhalb des Gesetzes Erleichterungen erfolgen sollen und haben 200 Eingaben, die wir auswerten. Unser Motto lautet: Bürokratie am Bau? Ciao! Denn die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ist überzeugt, dass Praktikerinnen und Praktiker, die tagtäglich mit den Herausforderungen und Hindernissen von Bau-Vorschriften konfrontiert werden, hervorragende Ideen haben, um Innovationen gezielt einführen zu können oder ausufernde Bauvorschriften wieder zurückzubauen. Wir richten einen Innovationsausschuss ein, der sich mit den Vorschlägen beschäftigt.

Wie wirkt sich die Krise am Bau in Deutschland auf andere Branchen aus?

Scharrenbach: Daran hängen viele Architektur-, Ingenieur- und Handwerksfirmen. Es drohen viele weitere Insolvenzen mit zwei Folgen: Fehlender Wohnraum staut sich auf und bald fehlen immer mehr Wirtschaftsbetriebe in der Baubranche. Das ist auch für die Qualität am Bau schlecht. Es braucht jetzt Ruhe und Ordnung, rechtliche wie finanzielle Planbarkeit und abgestimmtes Handeln innerhalb der Bundesregierung. Wir können in Nordrhein-Westfale nicht alles reparieren, was die Bundesregierung kaputtschlägt.

Frau Scharrenbach, das Verfassungsgericht hat Sie gemahnt, weil sie Akten für den Untersuchungsausschuss zur großen Flut in NRW nicht beigebracht haben. Was war da los?

Scharrenbach: In der Notlage bin ich 2021 direkt in die Kommunen gefahren und habe mit den Bürgermeistern gesprochen, obwohl unser Ministerium kein Gefahrenabwehrministerium ist. Aber die größte Naturkatastrophe in der Geschichte Nordrhein-Westfalen hatte das aus meiner Sicht erfordert, um den Menschen vor Ort zu zeigen, dass wir für sie da sind. Unser Ministerium kümmerte sich erst später um den Wiederaufbau. Wir haben deshalb die Akten zugeliefert, die aus unserer Sicht vom Untersuchungsauftrag gedeckt sind. Im Übrigen hatten wir dem Ausschuss in der letzten Legislaturperiode bereits 5700 Seiten an Akten zukommen lassen.

Das hat weder der Opposition noch dem Gericht gereicht.

Scharrenbach: Der Ausschuss hatte aus unserer Sicht nicht klar im Auftrag benannt, was er an Akten haben wollte. Es ging aus unserer Sicht um die Gefahrenabwehr und nicht um den Wiederaufbau. Der Ausschuss hätte deshalb beschließen können, aus dem unbestimmten Einsetzungsbeschluss einen bestimmten Einsetzungsbeschluss zu machen. Das ist nicht geschehen. Jetzt hat das Gericht entschieden.

Hat sie das verwundert?

Scharrenbach: Das Urteil ist jetzt da und damit herrscht Klarheit.

Was erwarten Sie von der Europawahl?

Scharrenbach: Europa ist ein großes Friedens-, Freiheits- und Sicherheitsversprechen für die Bürger. Und dieses Versprechen ist massiv unter Druck geraten ist. Diesen Fokus darf man deshalb in Brüssel nicht verlieren. Eine Rückbesinnung vom Klein-Klein auf die großen Themen ist in Europa notwendig. Wir wollen helfen, dass das gelingt.