Serie Als der Mercedes Heckflossen bekam und das Dach der Schwelmer Tankstelle schwebte
Schwelm · Die Zapfstationen sind ein Zeitzeugnis – in Schwelm spiegeln sie ein ganzes Stück Geschichte wider
In den Nachkriegsjahren ging es mit der Motorisierung steil bergauf. Die ersten Nachkriegsautos der Marken DKW, Lloyd, Glas („Goggo“), Messerschmitt (besonders beliebt: der Kabinenroller), aber auch Opel, Mercedes und vor allem der VW-Käfer sorgten für immer mehr Verkehr auf den Straßen. Folglich wurden auch immer mehr Tankstellen gebaut.
1969 gab es mit 46 668 die höchste Tankstellendichte in der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl wuchs stetig, und auch in Schwelm wurden weitere Tankstellen gebaut: Drei neue Shell-Tankstellen und drei von Aral wurden eröffnet, dazu baute Texaco in der Schulstraße und Chevron in der Sedanstraße. Neubauten gab es an den Ausfahrstraßen im Osten, Westen und Norden der Stadt, aber auch mitten in eng bebauten Wohnstraßen.
Die Benzin-Marken wandelten sich. Leuna wurde Gasolin, BV wurde Aral. Mineralölgesellschaften setzten immer stärker darauf, sich von Konkurrenten zu unterscheiden. Gut erkennbare Firmen-Logos und Farben machten die Tankstellen schon von Weitem sichtbar. Esso war rot, Aral, als Kind des deutschen Bergbaus und mit Gründungssitz in Bochum, setzte auf die Farbe Blau. Sogar das Benzin wurde leicht eingefärbt: Aral schimmerte bläulich, Gasolin und Esso rötlich.
Ganz im Westen von Schwelm, direkt an der Stadtgrenze zu Wuppertal, stellte Friedrich Leske Ende 1959 einen Bauantrag für das Grundstück Barmer Straße 77 auf „Errichtung einer Autoreparaturwerkstatt mit angeschlossener Tankstelle“. Leske kam aus Hattingen und war Lloyd-Vertragshändler für den Ennepe-Ruhr-Kreis. In den Akten zum Bauantrag finden sich Hinweise, dass die Barmer Straße zur Zeit der Antragstellung noch die B7 war. Wenig später wurde sie zur L726 abgestuft. Leske bekam im Januar 1960 die Baugenehmigung. Darin waren „vier unterirdische Tanks für 30 000 Liter Vergaserkraftstoff“ enthalten.
Die detaillierte Bauzeichnung weist sogar den Preis für einen Liter Sopi-Benzin aus: 58 Pfennig. Ein Foto von 1960 zeigt einen tatsächlichen Preis von 54 Pfennig, das wären heute unvorstellbare 28 Cent für einen Liter Benzin. Bis 1961 unterhielt Leske die Lloyd-Werkstatt. Später errichtete er näher zur Straße hin einen großen Verkaufspavillon und wurde Ford-Händler.
Die Tankstelle der Marke Sopi übernahm Karl-Heinz Albus. Sie ist noch bis 1966 im Adressbuch von Schwelm zu finden. Die Marke Sopi war in unserer Gegend recht selten und ist heute wenig bekannt. 1960 besaß die Firma Conoco rund 400 Sopi-Tankstellen in Deutschland und Österreich. Leskes Ford-Werkstatt an der Barmer Straße wurde 2001 abgerissen, die Tankstelle einige Jahre früher. Auf dem Gelände entstand 2003 ein Aldi-Markt, der seit Ende 2023 leer steht.
Eine Aral-Tankstelle wurde an der 1959 gebauten Saarstraße 1–3/Ecke Blücherstraße eröffnet. Diese relativ kleine Tankstelle wies alle typischen Merkmale auf: Die Trennung vom Verkehr durch eine geschwungene Zu- und Abfahrt, ein kleines Gebäude für Tankwart und Kundschaft, eine Tankinsel mit vier Zapfsäulen und ein auf Stützpfeilern montiertes Dach zum Schutz vor dem Wetter.
Die Dächer bestanden meist aus Spannbeton
Vor allem die Dächer – Anfang der sechziger Jahre meist aus Spannbeton – wurden immer gewagter und ausgefallener. Es gab zwar bei den Mineralölkonzernen Normierungen, aber auch erstaunlich viele unterschiedliche und kreative Ausführungen. Als die Autos Heckflossen bekamen, hatte diese Tankstelle in Schwelm ein damals typisches „schwebendes“ Dach mit leichten Knick in der Mitte. Auf Fotos aus den frühen 1960er-Jahren ist unbebautes Gelände im Hintergrund zu sehen. Dort wurde erst später die Ruhrstraße gebaut. Über das Baujahr der Tankstelle an der Saarstraße und den ersten Pächter ist nichts bekannt.
Der zweite Pächter, Hans-Jürgen Garz, leitete die Aral-Tankstelle von 1962 bis 1973. Später gründete er eine Autowerkstatt und einen Ford-Handel in Hasslinghausen. Im Bereich der Tankstelle an der Saarstraße befindet sich seit Langem eine Kfz-Werkstatt. Heute ist ein Bosch-Service in dem Gebäude, das nach vielen Umbauten nicht mehr an die architektonisch interessante Tankstelle von einst erinnert. Die Mineralölgesellschaft Caltex schrieb mit besonders gewagten, elegant geschwungenen und weit auskragenden Stahlbeton-Dachkonstruktionen Architekturgeschichte. Der „frei schwebende“ Kragarm überspannte Zapfsäulen und Tankwarthäuschen.
Der Architekt Walter Hämer hatte für Caltex das Standardmodell entworfen. In Schwelm gab es keine Caltex-Tankstelle, aber im benachbarten Gevelsberg zeugt ein verlassenes Gebäude von dieser innovativen und schwungvollen Betonarchitektur der frühen 1960er-Jahre.