Sexualisierte Gewalt So können Eltern mit Kindern über den Missbrauchskomplex sprechen

Wermelskirchen · Wie erklären wir den brutalen Fall aus Tente? Die Kinderschutzambulanz Wermelskirchen klärt auf:

Oft zeigen Kinder während einer Sitzung in der Ärztlichen Kinderschutzambulanz Bergisch Land, was sie beschäftigt. Die Leiterin Birgit Köppe-Gaisendrees, ihr Stellvertreter Martin Roggenkamp sowie die weiteren Teammitglieder schauen dann ganz genau hin.

Foto: Doro Siewert

Der Wermelskirchener Missbrauchsfall hinterlässt eine bohrende Frage bei den bergischen Eltern: Warum nur? Auf 26 weitere Fälle in Nordrhein-Westfalen sind die Ermittlungsbehörden mittlerweile aufmerksam geworden. Bundesweit sind es aktuell 73 Verdächtige, lediglich das Saarland und Bremen sind nicht betroffen. Der Fall macht deutschlandweit Schlagzeilen. „Ein solches Ausmaß an Brutalität gegenüber kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien ist mir noch nicht begegnet“, sagte der Kölner Polizeipräsident Falk Schnabel am Montag.

Einem 44-jährigen Wermelskirchener wird vorgeworfen, in mehreren Fällen Kinder, zum Teil Säuglinge und Kinder mit Behinderung, brutal missbraucht zu haben. Der selbst kinderlose Mann hatte im Internet über 14 Jahre lang nebenberuflich seine Dienste als Babysitter angeboten. Auf 3,5 Millionen bei dem Mann bisher sichergestellten Fotos und 1,5 Millionen Videos seien „brutalste Vergewaltigungen von Babys und Kleinkindern“ zu sehen, die der Wermelskirchener nicht nur an andere Tatverdächtige aus ganz Deutschland verschickte, sondern auch mit Hilfe von Listen als Datenbank in seinem Arbeitszimmer in Tente akribisch archivierte. Der Beschuldigte wurde bereits im Dezember bei einem SEK-Einsatz in seinem Einfamilienhaus festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Eltern sollten beobachten, ob sich ihr Kind verändert

Auch das Team der Ärztlichen Kinderschutzambulanz Bergisch Land mit Sitz am Sana-Klinikum in Remscheid ist betroffen ob dieses Ausmaßes. Genauso wie der Kölner Polizeipräsident oder der leitende Oberstaatsanwalt haben sie schon viele Facetten der Gewalt erlebt. Die Einrichtung kümmert sich um misshandelte, missbrauchte und vernachlässigte Kinder in ganz NRW. Die Anfragen aufgrund des Wermelskirchener Falls häufen sich in der Remscheider Einrichtung. Eltern stellen sich dabei nun, nachdem die Taten ans Licht gekommen sind, die Frage: Wie können wir unsere Kinder schützen? „Ohne die genauen Hintergründe zu kennen, muss eine Babysitterbuchung über das Internet erst einmal kritisch gesehen werden“, sagt Birgit Köppe-Gaisendrees, Leiterin der Ärztlichen Kinderschutzambulanz Bergisch Land. „Da auch ganz kleine Kinder in diesem Fall betroffen sind, ist es umso kritischer zu betrachten.

Eltern sollten sich grundsätzlich fragen: In welche Hände gebe ich eigentlich meinen Säugling?“, ergänzt der stellvertretende Leiter Martin Roggenkamp. Zumal hier vermutlich auch von einer Vernachlässigung auszugehen sei. Der Grund sei meist eine Überforderung. Und: Täter näherten sich Familien auch oftmals erst mal sehr freundschaftlich. „Wir hatten auch schon Fälle, bei denen Täter Eltern finanziell unterstützt haben“, sagt Birgit Köppe-Gaisendrees. 

Dass Eltern in Wermelskirchen und über die Stadtgrenzen hinaus nun alarmiert seien, sei völlig nachvollziehbar. „Sie sollten jedoch nicht in Hysterie verfallen“, sagt Köppe-Gaisendrees. Jedoch mit Obacht vorgehen. Denn nicht jedes Kind zeige eindeutige Zeichen einer sexualisierten Gewalttat. Generell sollten Eltern mit ihren Kindern in einer guten Beziehung sein, beobachten, was sie beschäftigt oder ob es sich verändert. Wenn Kinder Andeutungen machten wie „Der hat auf mich aufgepasst, aber möchte mir immer beim Duschen zugucken“ sei das ein Alarmsignal.

Und wie sollten Eltern ihren Kindern dies erklären? Wie und ab wann sollen sie mit ihren Kindern über sexuellen Missbrauch sprechen? Ab einem sprachfähigen Alter, also in etwa ab 2 bis 2,5 Jahren, sagt Martin Roggenkamp - und, wenn das Kind bereits unterscheiden könne zwischen erlaubt und verboten. „Eltern können ihren Kindern dann erklären: Es gibt bestimmte Bereiche des Körpers, die Mama und Papa waschen dürfen und der Kinderarzt untersuchen darf, aber sonst niemand.“

Birgit Köppe-Gaisendrees betont, dass Eltern dabei aber nicht ins Detail gehen, aber aufklären sollten: „Eltern können ihrem Kind ab einem gewissen Altern erklären, dass es Menschen gibt, die nett wirken, aber Kinder an Körperstellen anfassen, an denen es verboten ist, und davon auch Fotos oder Videos machen.“ Und zwar ohne Panik und Hysterie. Eltern, die unsicher sind oder sich beraten lassen möchten, können sich mit allen Fragen an die Ärztliche Kinderschutzambulanz wenden. Nicht zuletzt gehe es auch darum, Grenzen und Wünsche von Kindern zu akzeptieren - und ihnen eine gewisse respektvolle Haltung vorzuleben. Denn Kinder haben auch Rechte.