Terror in NRW So real ist die Terror-Gefahr in NRW

Düsseldorf · Frank Hoever leitet seit fast einem Jahr das Landeskriminalamt NRW. Wir sprachen mit ihm über Terror, Clans und die digitale Zukunft.

Frank Hoever hat vor fast einem Jahr die Leitung des Landeskriminalamtes in Düsseldorf übernommen.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

Herr Hoever, der islamistische Terror ist das große Sicherheitsthema unserer Zeit. Nach dem Fall Amri wurde viel darüber diskutiert, ob der Staat früher hätte eingreifen müssen. Aus NRW kamen früh Warnungen vor Amris Gefährlichkeit, im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) wurde sie aber heruntergestuft. Glauben Sie, wir haben aus dem Fall gelernt?

Frank Hoever: Definitiv. Das habe ich sehr eng begleitet, weil ich damals noch im Innenministerium war. Wenn zwölf Menschen tot sind, kann nicht alles gut gelaufen sein. Aber ich glaube schon, dass wir in NRW  vieles richtig gemacht haben. Was auf Bundesebene jetzt verändert wurde, sind etwa einheitliche Standards für die Bewertung von Gefährdern. Wir haben in NRW 3000 Gefährder, etwa 800 gewaltbereite. Darunter gibt es dann einige, die nicht aktionsfähig sind – weil sie etwa nicht in Deutschland oder im Gefängnis sind – und dann über 100 aktionsfähige. Und dann haben wir eine kleine zweistellige Zahl von „High-Risk-Fällen“, die wir für richtig gefährlich halten – wir nennen sie „Fokus“.

Zur Einstufung von Gefährdern beziehungsweise zur Risikobewertung gibt es das bundeseinheitliche System „RADAR-iTE“, bei dem jeder Gefährder nach 88 Punkten eingeschätzt wird. Im GTAZ wurde zudem die Arbeitsgruppe „Risikomanagement“ gegründet, die sich speziell mit diesen „High-Risk-Fällen“ beschäftigt und dazu Fallkonferenzen abhält.

Das heißt: Wir sind sicher?

Hoever: Die Frage lautet nicht, ob etwas in NRW passiert, sondern nur, wann etwas passiert. Die Geschehnisse in Köln am Montag sprechen da eine deutliche Sprache. Das müssen wir leider so nüchtern sehen. Aber wir tun alles, um das zu verhindern.

Und zwar wie?

Hoever: Da kommt der Früherkennung eine besondere Bedeutung zu. Es ist unsere absolut herausragende Herausforderung bei der Polizei, eingebunden sind aber auch Psychologen und Islamwissenschaftler. Wir haben im LKA eine „Koordinierungsstelle Gefährder“ eingerichtet, wo wir aktuell eine Aufsichtsfunktion über die Kreispolizeibehörden ausüben. Ziel ist es, Gefährder entweder in Haft zu bringen oder auszuweisen. Durch die Koordinierungsstelle wird von allen Behörden, die mit einer Person zu tun haben, zusammengetragen, was wir wissen, damit wir ein ganzheitliches Bild von dem Gefährder haben. Das war ein Punkt bei Amri, wo ich sage, wir waren in NRW nicht hundertprozentig aufgestellt: Es gab ja verschiedene Straftaten, die aber nie so gebündelt bearbeitet wurden, dass ein Ermittler über alles drübergeguckt und die Verantwortung gehabt hätte. Das ist jetzt anders: Wir bekommen als erstes Landeskriminalamt in Deutschland eine eigene Abteilung Terrorismusbekämpfung.

Was bedeutet das konkret?

Hoever: Wir bauen die Koordinierungsstelle Gefährder weiter aus. Zudem bekommen wir ein eigenes GTAZ NRW – quasi als kleiner Bruder des Terrorabwehrzentrums in Berlin, wo die Fälle einzeln besprochen werden. Wir verändern darüber hinaus die Fallbearbeitung: Wir übernehmen im LKA die Sachbearbeitung für die kleine Gruppe der „High-Risk-Fälle“. Dann gibt es sechs große Polizeibehörden – Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Bielefeld und Münster -, die die aktionsfähigen Gefährder in den Blick nehmen. Wir wollen, dass es ein Gesicht gibt, das für einen Gefährder verantwortlich ist und alles über ihn weiß. Und einheitliche Standards für die Sachbearbeitung. Zumindest für NRW. Ansonsten ist Deutschland ja ein Flickenteppich bei den rechtlichen Voraussetzungen – etwa bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Es gab schon den Fall, wo ein Gefährder von Bayern nach Norddeutschland umgezogen ist und plötzlich war es vorbei mit den Maßnahmen. Das darf nicht sein.

Föderalismus hilft nicht bei der Terrorbekämpfung?

Hoever: Nein, definitiv nicht. Man ist gut vernetzt, aber wenn rechtliche Grenzen erreicht sind, ist das nun einmal so.

Wie sieht der Zeitplan für diese neue Abteilung aus?

Hoever: Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, die jetzt Standards erarbeitet. Und wir suchen das Personal – wir bekommen also Zuwachs. Im Januar, so die Überlegung, wollen wir beginnen.

Sie selbst haben als Polizist lange in der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gearbeitet. Wie hat sich in NRW die Lage bei den Rockern entwickelt, seit die Satudarah und zuletzt die Osmanen Germania verboten wurden?

Hoever: Ich glaube schon, dass es insgesamt etwas ruhiger geworden ist. Ich nehme wahr, dass man sich an die Kuttenverbote tatsächlich hält. Was natürlich nicht heißt, dass nicht immer wieder Konflikte aufflammen – das sind Rocker, die sind alle bewaffnet. Gerade wurde bei einer Durchsuchung bei einem Rocker in Rheinbach bei Bonn eine Kalaschnikow gefunden – eine vollautomatische Maschinenpistole. Bei Konfrontationen muss man also immer damit rechnen, dass sie vor dem Einsatz von Waffen nicht zurückschrecken. Aber in der jüngeren Vergangenheit haben sich keine großen Gruppen mehr gegenübergestanden.

Und Sie wüssten, wenn es so wäre?

Hoever: Man muss sagen, dass wir im Bereich Rockerkriminalität eine wirklich sehr gute Erkenntnislage haben. Aktuell bringen wir in NRW 2100 Personen mit der Rockerkriminalität in Verbindung – am stärksten vertreten sind die Bandidos, dann Gremium, die Freeway Riders und Hells Angels. Dabei agieren die Bandidos eher im Ruhrgebiet, die Hells Angels in Köln und Düsseldorf. Die Zahlen steigen – aber auch das kann daran liegen, dass wir mehr Infos über die Szene haben.

Sind denn die kriminellen Subjekte, die es innerhalb der verbotenen Rockergruppen gab, jetzt auch von der Bildfläche verschwunden?

Hoever: Die Menschen sind natürlich nicht weg. Sie ziehen sich auch sicher nicht vollständig aus kriminellen Aktivitäten zurück – und wir ermitteln weiter gegen sie. Aber sie treten nicht mehr öffentlichkeitswirksam auf.

Wenn die Erkenntnislage bei den Rockern so gut und die derzeitige Lage ruhig ist – sind die Clans dann die große neue Herausforderung in NRW?

Hoever: Das kann man sagen. Weil wir, wie ich glaube, viel zu lange nicht genug gemacht haben.

Das heißt, das Stichwort Clans wurde weggedrückt?

Hoever: Ja, schon. Natürlich auch unter diesem Gesichtspunkt „ethnic profiling“. Aber da gibt es mittlerweile eine deutlich andere Ausrichtung. Wir haben uns im LKA dem Thema mit dem Projekt KEEAS gewidmet – das heißt etwas sperrig: Kriminalitäts- und Einsatzbrennpunkte geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen. Das wird in unserer Abteilung Organisierte Kriminalität geführt, eingebunden waren Experten aus Berlin und Bremen, die erhebliche Probleme mit Clankriminalität haben.

Es sollte auch ein Lagebild Clankriminalität für NRW geben. Liegt das vor?

Hoever: Nein, noch nicht. Der Überblick, um wie viele kriminelle Großfamilien es geht, ist schwierig. Wir haben zum Teil für einen Familiennamen 15 Schreibweisen in unseren Datenbeständen – und es sind ja nie alle Familienmitglieder kriminell. Wir wissen, dass es sehr abgeschottete Gemeinschaften sind, bei denen die Familie das tragende Element ist, dass sie den Staat und seine Regeln ablehnen, eine Paralleljustiz schaffen. Dadurch kommt es bei Konflikten immer wieder zu Tumulten mit Clanmitgliedern, die hochaggressiv und absolut respektlos sind. Wir hatten vor einigen Wochen den Fall, wo eine Kollegin vor einer Shisha-Bar in Essen gegen den Kopf getreten wurde – eine üble Geschichte. Und prägend für diese Clans.

Wie begegnen Sie diesem Verhalten?

Hoever: Wir müssen sehr niederschwellig einschreiten auch schon bei Ruhestörungen – um klarzumachen, wer hier das Sagen hat. Insbesondere in Essen, Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen und Recklinghausen – den Hochburgen der kriminellen Großfamilien – treffen wir massive Maßnahmen etwa zur Kontrolle von Shisha-Bars oder in der Rapperszene, wo Texte für Ansagen gegen andere Clans genutzt werden. Aber es gibt auch Vorfälle in kleineren Landratsbehörden – so vor einigen Wochen im Bereich der Polizeibehörde Mettmann ein Aufeinandertreffen von Clans und Rockern.

Glauben Sie, Sie können durch diese Kontrollen ein weiteres Erstarken der Szene verhindern?

Hoever: Helfen kann nur ein enges Zusammenwirken von Polizei mit anderen Behörden. Wir nennen das: administrativer Ansatz. Das haben wir auch bei Rockern schon erfolgreich praktiziert – etwa wenn sie neue Häuser eröffnen: Sind genug Toiletten da, darf Alkohol verkauft werden, wie sieht es mit dem Brandschutz aus? Es geht darum, zu zeigen: Wir stehen euch auf den Füßen.

Gerade für die Clan-Kontrollen brauchen Sie viel Personal. Wie lange soll das so weitergehen?

Hoever: Es ist auf Dauer immens schwer, auf allen Feldern gleichermaßen präsent zu sein. Da muss man flexibel sein und priorisieren. Polizeipersonal ist endlich und man muss auf aktuelle Ereignisse mit mehr Einsatz reagieren. Aber es wäre fatal, sich aus einzelnen Feldern komplett zu verabschieden.

In der Politik wird immer um den Begriff der No-Go-Areas gerungen. Was sagen Sie: Haben wir die in NRW?

Hoever: Es gab schon immer Bereiche, in die ist man nicht mit nur einem Streifenwagen gefahren. Aber es gibt definitiv keine Bereiche, aus denen Polizei sich heraushält. Das kann sich kein Rechtsstaat erlauben. Dennoch: Es gibt zunehmend Theater – das sieht man ja auch an der zunehmenden Gewalt gegen alles, was mit Staatlichkeit zu tun hat.

Was man in der Öffentlichkeit tatsächlich überhaupt nicht mitbekommt, sind Aktivitäten der Mafia. Vor einigen Jahren hieß es, die süditalienische Ndrangheta habe einen Schwerpunkt in NRW. Wie sieht es da aus?

Hoever: Lange wurde Nordrhein-Westfalen als Ruhe- und Rückzugsraum für die Mafia gesehen. Das ist aber nicht mehr so. Sie wird auch aktiv, definitiv. Wir haben ein länderübergreifendes Auswerteprojekt dazu und verzeichnen immer wieder Delikte in den Bereichen Bau, Drogen, Waffen. Aber immer öfter wird es da international. Im Darknet kann man kriminelle Expertise einkaufen – Crime as a service. So kommt man zusammen und wechselt auch zwischen den Feldern. Neulich hatten wir einen großen Fall überwiegend russischer OK, wo bei Leistungen von Pflegediensten in großem Stil betrogen wurde.

Das Internet bringt also auch die Organisierte Kriminalität enger zusammen?

Hoever: Ja natürlich.

Ein ganz anderes Thema: Lange war die Bevölkerung in NRW besonders belastet durch Rekordzahlen bei den Einbrüchen. Und über Jahre hieß es, da könne die Polizei fast nichts tun, weil die Banden so mobil und international tätig seien. Jetzt sinken und sinken die Fallzahlen. Wieso das?

Hoever: Ganz ehrlich ist es wohl so, dass die derzeit verstärkte Grenzkontrolle und die nicht mehr ungehinderte Durchreise vom Balkan ein entscheidender Faktor ist. Es kommen einfach weniger von den sehr aktiven, hochqualifizierten Tätern. Ich glaube aber auch, das was konzeptionell möglich war, haben wir ausgereizt. Wir haben eine Qualitätsoffensive ins Leben gerufen, bei der wir in die Kreispolizeibehörden fahren, kleine Inspektionen der Arbeit durchführen und auch Vergleiche unter den Behörden anstellen. Unser LKA-Projekt „Motiv“ gegen mobile Banden hat Vorbildcharakter, wurde von der Innenministerkonferenz auch anderen Bundesländern empfohlen. Und natürlich machen wir präventiv viel – die Versuchsquote bei Einbrüchen hat sich immer weiter erhöht und liegt aktuell bei 46 Prozent. Aber auch die Fallzahlen generell sinken weiter – auch dieses Jahr werden wir wohl mehr als 20 Prozent Rückgang haben.

Hat denn das Predictive Policing – die Straftaten vorhersehende Software – etwas gebracht?

Hoever: Wir haben mit „Skala“ ja ein eigenes Programm entwickelt. Das Pilotprojekt ist beendet und wir können sagen, dass wir eine Prognose für Einbrüche mit einer vierfach höheren Wahrscheinlichkeit geben können. Wir haben es nach den Wohnungseinbrüchen auch für Einbrüche in Gewerbeobjekte und Kfz-Aufbrüche eingeführt, seit Oktober in allen Kriminalhauptstellen. Jetzt prüfen wir, ob wir es auch in ländlichen Gebieten ausrollen können – wir brauchen als Datenbasis ja nun einmal eine gewisse Zahl von Straftaten, so makaber das klingt. Und wir wollen das Predictive Policing auf weitere Deliktsfelder ausweiten, beispielsweise Raub.

Wie schreitet die Digitalisierung ansonsten voran?

Hoever: Mit dem Verband der öffentlichen Versicherer und dem Fraunhofer Institut sind wir gerade dabei, eine App zu entwickeln, die vor Einbruchgefahren warnt. Da muss man natürlich gut aufpassen, um Menschen nicht zu verschrecken. Aber wir überlegen, unsere Daten eben auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Digitalisierung ist ein wichtiges Thema bei der Polizei. Ziel ist es, mobile Endgeräte in die Streifenwagen zu bringen und so Arbeitsabläufe zu erleichtern – aber auch Daten direkt für „Skala“ zu nutzen. Vorbild sind die Niederländer, die vieles einfach ausprobieren. Wir Deutschen gehen da oft mit zu viel Akribie ran an die Planung – und wenn man dann ein Ergebnis hat, ist es manchmal gar nicht mehr aktuell. Wir müssen Dinge einfach auf die Straße bringen – bei der Polizei ist es wie beim Fußball: entscheidend ist auf dem Platz. Da hat mit dem Regierungswechsel eine positive Entwicklung stattgefunden.