Spenden-Aktion Günther Uecker kämpft mit Kunst gegen Armut

Düsseldorf · Mit dem Verkauf zweier Brotobjekte will der Nagelkünstler die Düsseldorfer Obdachlosen unterstützen. Der 93-Jährige hat in seiner Jugend selbst viel Leid erfahren.

Der Künstler und Maler ­­Günther Uecker in seinem Atelier.  

Foto: dpa/Fabian Strauch

Ein Brot ist eine Art Mahnmal. So sieht es der weltberühmte Künstler Günther Uecker. Er fühlt sich veranlasst, mit genageltem Brot aus seiner Werkstatt für arme Menschen zu spenden. Ursprünglich hatte er dieses Objekt 2002 für eine Ausstellung zur „Eat Art“ in Salamanca gefertigt. „Bread Cooked With Nails“ heißt der Laib, den der Künstler mit Nägeln gespickt hat. Einige Stahlstifte sitzen tief im Teig, andere liegen flach auf. Die Art der Garnitur wirkt brutal. Ueckers Nägel verweisen auf Existenzielles, auf den Kampf ums tägliche Brot. „Frisch vom Bäcker mit Nägeln durchdrungen“, sagt der Künstler anlässlich der Neuauflage über dieses präparierte Lebensmittel: „Nahrungsgrund und Pein, das Korn gewachsen, gemahlen, gesäuert, eingebacken.“ Bis ein Brot fertig ist, vom Reifen des Korns bis zur Ladentheke, laufen Prozesse ab, über die sich heutzutage kaum jemand Gedanken macht. Am Ende ist der Erwerb des täglichen Brotes für die meisten selbstverständlich. Und nur für jene kritisch, die nicht wissen, wie sie ihr Brot bezahlen sollen oder an Getreide kommen. Dass in vielen Teilen der Welt Hungersnot herrscht, in Deutschland jeder fünfte von Armut betroffen ist und selbst in der reichen Stadt Düsseldorf Menschen hungern, bekümmert Uecker zutiefst.

In der politisch bewegten Gegenwart, die den Künstler bis ins Mark erschüttert, nahm er sich das Kunstwerk vor, das seiner Wahrnehmung nach die Weltlage wie auch die Situation vor Ort auf den Punkt bringt. Zusammen mit seinen Verlegern Till Breckner und Afshin Derambakhsh bietet er zwei dieser Arbeiten zum Kauf an und möchte den Erlös von 50.000 Euro an den Obdachlosenbus in Düsseldorf spenden, der damit etwa ein Jahr unterhalten werden kann.

Auch in seinem zehnten Lebensjahrzehnt empfindet Uecker Mitgefühl für das Schicksal anderer Menschen. Sein Mitgefühl hat nie aufgehört, seine Schaffenskraft auch nicht. Er wollte immer „sehr alt werden“, sagt er vor zehn Jahren im Interview. Allerdings könnte es um seine Gesundheit besser bestellt sein. Mit 93 Jahren geht vieles nicht mehr so leicht von der Hand. Uecker erzählt, und dabei lacht er donnernd, dass er sich trotz großer körperlicher Einschränkungen immer noch nicht vor seinem eigenen Übermut schützen könne, dass er nach wie vor zu viele Projekte angehe.

Ueckers Leitmotiv lautet: „Das Wesentliche ist noch nicht getan“

Sein Leitmotiv seit Jahrzehnten, das er wie ein Mantra wiederholt, lautet: „Das Wesentliche ist noch nicht getan!“ So laufen zurzeit Projekte und Ausstellungen parallel, die sein Herz und die Tage erfüllen: In Weimar wird er Ende August ein „Steinmal für Buchenwald“ im öffentlichen Raum nahe dem Denkmal von Goethe und Schiller platzieren. Dies vollendet er tatkräftig mit Bürgerinnen und Bürgern, um die Erinnerung an das Konzentrationslager aufrecht zu erhalten. Man wird zusammen Stein auf Stein schichten. Der Künstler will mit dieser Aktion eine mögliche Leerstelle der Erinnerung füllen, ganz ohne Pathos – und ohne Nägel. Im Schweriner Dom werden bald die ersten Kirchenfenster nach himmelblauen Aquarellen von Uecker eingebaut, in der jüngsten Vergangenheit stellte er in New York neu erschaffene Nagelreliefs vor.

Günther Uecker, „Ein Brotteig“, 2002 (hell).

Foto: Jack Kulcke

Uecker kennt die Armut. Er ist in Wendorf nahe der Ostsee geboren unter einfachen, aus heutiger Sicht ärmlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft groß geworden. Trotz seiner forschenden Reisen in die entlegensten Teile der Welt hat er die Bodenhaftung nie verloren. Seit 1955 lebt er in Düsseldorf. Uecker weiß, was Heimat bedeutet. Seine Nagelreliefs sind einzigartig und bescherten ihm den Durchbruch in der internationalen Kunstszene. Sie erinnern an die Felder seiner Heimat. Die mit Kraft und Wucht eingeschlagenen Stahlnägel rhythmisieren auf weißem Grund Licht und Schatten, provozieren immer neue Bilder.

Günther Uecker steht in Düsseldorf inmitten der Ruinen und des Zweiten Weltkriegs.

Foto: Lothar Wolleh

Als Bauernsohn lief Günther barfuß über die Stoppelfelder seiner mecklenburgischen Heimat, wenn er die Pferde oder Kühe auf den Acker führte. Schuhe besaß er nicht. In seiner Kinderwelt gab es weder Bilder noch Bücher. Als die russischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs in das karge Zuhause einzudringen drohten, vernagelte der halbwüchsige Junge panisch alle Türen und Fenster, konnte selber nur durch ein winziges Fenster nach draußen gelangen, um in der mittellosen Welt der späten Kriegsjahre ein paar Fische für die Mutter, seine zwei Schwestern und sich zu angeln. Manchmal, so gab er in einem früheren Gespräch ohne Scham zu Protokoll, klaute der Junge Brot in der Not.

Bei seinem Übertritt in den Westen – 1955 nach Berlin und Auffanglager in Düsseldorf – war der DDR-Flüchtling mittellos. In der Aktentasche, die er beim illegalen Grenzübertritt durchs Brandenburger Tor bei sich trug, befand sich neben seiner Geburtsurkunde und dem Facharbeiterbrief nur eine Unterhose. Im vom Krieg zerstörten Düsseldorf schlief er in den Ruinen der Kö. Auf alten Zeitungen musste er sein Nachtlager aufschlagen, ein dicker Mantel diente ihm als Decke. Später, als er sich in der Klasse von Otto Pankok bewarb, bot der radikale Malereiprofessor dem angehenden Kunststudierenden an, sich in der Kunstakademie auf den Matratzen der Aktmodelle einzurichten.

Von da an ging es bergauf im Leben Ueckers, dem all diese Momente noch präsent sind. Beinahe traumatisch hat ihn die Armut seiner Kindheit und Jugend auch beim Neubeginn im Westen nicht losgelassen. Er arbeitete am Fließband einer Glasfabrik im Schichtdienst, um für seine Familie, die erste Frau und zwei Kinder, sorgen zu können. Über lange Jahre hatte er, wie er erzählt, unvorstellbar viele Schuhe gekauft. Selbst später, mit seiner zweiten Frau Christine, ist er anfangs die Sorge nicht losgeworden, alles verlieren zu können. Das Paar lebte, bevor der gemeinsame Sohn Jacob zur Welt kam, in einer kleinen Wohnung in Oberkassel.

All dies wird er nie vergessen, er ist dankbar dafür, von den Erträgen seiner Kunst gut leben zu können. Und er gibt gerne ab. Jetzt für die Menschen auf der Straße. „Ich kann mir genau vorstellen, wie elendig solch ein Leben abläuft“, sagt Uecker.

Im Grunde war auch er obdachlos, als er vor 70 Jahren in den Westen rübermachte und nicht wusste, wie er sein täglich Brot bezahlen sollte.