Kohle-Aus Die letzte Zeche vor der Schließung - Besuch am Sterbebett der Kohle
Bottrop · Ministerpräsident Armin Laschet ist in die letzte aktive Zeche Prosper-Haniel in Bottrop eingefahren. Mit dabei: sein Vater Heinz und Bergleute aus aller Herren Länder.
. Wenn das Leben eines Menschen, der einem wichtig ist, dem Ende zugeht, empfiehlt sich ein letzter Besuch. Prosper-Haniel ist kein Mensch, sondern eine Zeche, aber auch sie ist vielen Menschen wichtig. Jeden Tag werden unter Tage zwei Besuchergruppen durchgeschleust, die Wartezeit beträgt bis zu einem Jahr. „Und es werden immer mehr“, sagt Steiger Sitki Eminoglu. „Jeder will noch mal nach unten.“
An diesem Tag ist es Armin Laschet, der nach unten will. Der NRW-Ministerpräsident hat gewiss kein Jahr warten müssen und seine Begleitung konnte er auch frei wählen. Laschet hat sich für eine biografische und eine politische Zusammensetzung entschieden. Sein Vater Heinz (84) ist dabei, einst selbst bis 1968 Steiger im Aachener Revier, ehe er als sogenanntes „Mikätzchen“ zu den vereinfachten Bedingungen von Kultusminister Paul Mikat noch Grundschullehrer wurde. Laschets Ehefrau Susanne und ein Bruder gehören auch mit zur Gruppe.
Und dann sind da noch die Bergleute aus der Türkei, Italien, Griechenland, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Polen und Marokko. Die internationale Bandbreite ist kein Zufall, sondern als Verbeugung gedacht vor der Leistung derer, die einst angeworben wurden, um das deutsche Wirtschaftswunder in Gang zu bringen. Für die Fotos holt Laschet nicht nur seinen Vater, sondern auch Nail Celen an seine Seite. Der 79-Jährige leidet an einer Staublunge und seine Tochter, Integrations-Staatssekretärin Serap Güler, war nicht sicher, ob er den Belastungen unter Tage noch gewachsen ist. „Aber hier haben ihm dann alle unter die Arme gegriffen und mir die Arbeit abgenommen“, erzählt sie. Ihre Schilderung soll verdeutlichen: Die Kumpel-Solidarität unter Tage ist kein romantisches Klischee, sondern Wirklichkeit.
Der Regelbetrieb ist eingestellt
Sie alle sind gekommen, um die letzten Regungen der letzten aktiven deutschen Steinkohlenzeche zu erleben. Eigentlich sind sie dafür drei Tage zu spät dran: Am Freitag wurde der Regelbetrieb auf Prosper-Haniel eingestellt. Die für dieses letzte Jahr festgelegte Fördermenge von 1,8 Millionen Tonnen ist erreicht. Was jetzt bis zum 21. Dezember noch gefördert wird, dient nur noch dazu, den Streb im Flöz Zollverein in die Endstellung zu bringen. Noch finden hier 1600 Kumpel Arbeit, im nächsten Jahr wird es die Hälfte weniger sein. Sie werden bis Ende 2019 noch die Rohrleitungen und Kabel abbauen - und alles, was beweglich ist und schwimmen kann. Dann kommt das Grubenwasser. Es sei denn, es wird doch noch was aus den Ideen für ein riesiges Pumpspeicherkraftwerk. Die Machbarkeit ist nachgewiesen, aber keiner will die millionenschwere Investition tätigen. Bis Mitte 2019 müsste die Entscheidung fallen.
„Hier geht ein großes Stück Industriegeschichte zu Ende“, sagt Laschet, als er und seine Begleiter auf der siebten Sohle in 1200 Metern Tiefe vom Abbaubetrieb zurückkehren. Sein Vater, der seit 48 Jahren nicht mehr unter Tage war, verspürt „etwas Wehmut“ angesichts des Endes einer hochtechnisierten Industrie, die kaum noch dem entspricht, was er einst kennengelernt hat. „Wer einmal Bergmann war, behält ein Stück davon in seinem ganzen Leben.“
Steiger Eminoglu kann das nur bestätigen. 48 Jahre ist er jetzt alt und arbeitet seit einem Vierteljahrhundert unter Tage. „Ich bin froh, dass ich den Auslauf noch begleiten darf.“ Eigentlich war er Bergmann in Walsum. Aber die Mannschaft von Prosper-Haniel ist schon lange ein Auffangbecken für Kumpel aus allen Zechen der Region, die bereits geschlossen sind. Viele fahren hier eine Stunde und mehr, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. „Wie hart der Job auch ist“, sagt Eminoglu, „man muss ihn lieben oder hassen.“ Unter Tage ohne Leidenschaft, das geht nicht.
Die Fünf-Uhr-Schicht strebt dem Förderkorb entgegen, der sie in 90 Sekunden wieder an die Erdoberfläche bringt. Das „Glückauf“, das die Männer sich zurufen, verkümmert oft zu einem kurzen „Auf“. Oben steht der Aufsichtshauer Alija Kukolj (47). Der Bosnier bekommt „ein bisschen Gänsehaut“, wenn er ans Aufhören denkt. Gerade noch war er mit Armin Laschet im Abbaubetrieb. „Mal was anderes“, sagt er trocken. Aber letztlich: „Ich sehe eigentlich alle gleich an, ob sie Ministerpräsident sind oder Steiger.“ Am Sterbebett der Kohle verwischen die Unterschiede.