Er schreibt weiter und weiter: Der 72-Jährige hat vier neue Kurzromane in einem Buch veröffentlicht Stephen King: Terror, Tod und Telefone
MÜNCHEN · . Es sind erschütternde Nachrichten, die da aus der beschaulichen Gemeinde Pineborough in Pennsylvania dringen. Um nicht zu sagen: blutige Nachrichten. An einer Schule explodiert in der Vorweihnachtszeit eine Bombe.
Ein als Postzusteller verkleideter Mann mit Schnurrbart hat sie als Weihnachtspäckchen dort platziert. Die Explosion ist so heftig, dass noch in einer Meile Entfernung Fensterscheiben zerbersten. Dutzende Kinder sterben, viele mehr werden verletzt.
Stephen King, König des Horrors, meldet sich zurück. Das Buch „Blutige Nachrichten“ umfasst vier Kurzromane, die auf 553 Seiten ein breites Spektrum an Fürchterlichkeiten abdecken und die dem Leser eine angenehme Dosis Gänsehaut in den Nacken treibt. Mit der titelgebenden Geschichte setzt King seinen 2018 veröffentlichten Roman „Der Outsider“ fort. Man muss diesen Roman über ein gestaltwandlerisches, kindermordendes Monster aber nicht gelesen haben, um die Kurzgeschichte verstehen zu können. Heldin ist die sympathisch-schüchterne Holly Gibney, die bisher meist nur eine Statistenrolle in Kings Krimireihe einnehmen durfte. Entsetzt sitzt Holly vor dem Fernseher und sieht sich die Eilmeldungen und Sondersendungen zu dem Schulmassaker in Pineborough an. Aber neben dem Schock lässt sie der Gedanke nicht mehr los, dass der Reporter etwas Seltsames an sich hat. Hatte er nicht in der vorherigen Schalte noch ein Muttermal? Die Detektivin geht der Sache auf eigene Faust nach – uns sieht sich bald einem übermächtigen Feind gegenüber.
In dem King-Krimi „Blutige Nachrichten“ geht es mehr um Detektivarbeit als um übernatürlichen Horror und Hokuspokus. Andere Kurzgeschichten in dem Buch haben mehr Spuk zu bieten, und der Grusel ist so klassisch, wie man ihn von King eben kennt.
„Mr. Harrigans Telefon“ ist die Geschichte von Craig, der als Junge sein Taschengeld aufbessert, in dem er dem alten Mr. Harrigan im Haushalt hilft. Mr. Harrigan wohnt im Haus auf dem Hügel, er ist stinkreich und gilt als unbarmherzig. Craig mag den alten Mann trotzdem. Nachdem er im Lotto gewinnt, schenkt Craig dem Alten sogar ein neues I-Phone. Es sind die Nullerjahre, als Mobiltelefone gerade den Markt erobern. Mr. Harrigan ist begeistert von dem Apparat, der in die Hosentasche passt und doch die Welt verändern wird. Das Handy liegt auch neben ihm, als der alte Mann schließlich in seinem Sessel im Wohnzimmer das Zeitliche segnet. Craig wird es ihm bei der Beerdigung am offenen Sarg heimlich als Abschiedsgeschenk in die Anzugtasche schieben. Mr. Harrigan nimmt sein Mobiltelefon mit ins Grab – was Craigs ganzes Leben verändern wird.
„Chucks Leben“ porträtiert das Leben von Chuck Krantz, einem ganz gewöhnlichen Geschäftsmann, der leidenschaftlich gerne tanzt. Chucks Konterfei prangt an jeder Ecke von rätselhaften Reklametafeln. Darunter steht in großen Lettern: „39 wunderbare Jahre! Danke, Chuck!“ Was hat es nur damit auf sich? Nur so viel sei verraten: Es geht um einen Durchschnittsmenschen, eine gruselige Dachkuppel und nichts weniger als den Weltuntergang.
Die Erzählung „Ratte“ dreht sich um den Möchtegern-Romanautor Drew Larson, den Schreibblockaden in den Wahnsinn treiben. Aber er hat eine Idee. Ein letztes Mal versucht er, sich den Lebenstraum vom eigenen Buch zu erfüllen. Dafür schottet er sich in einer einsamen Waldhütte ab. Anfangs läuft es prächtig, aber dann werden ihm die Worte wieder zum Feind. Er geht einen unheilvollen Pakt ein.
Stephen King, mittlerweile 72 Jahre alt, schreibt seit mehr als vier Jahrzehnten Horrorgeschichten – und er macht keine Anstalten, damit aufzuhören. Er produziert Grusel am laufenden Band, bleibt seinem Stil treu und schafft es immer noch, seine Leser zu erschrecken. In seiner neuen Kollektion rückt er vielschichtige Protagonisten in den Mittelpunkt mit all ihren Sehnsüchten, Schwächen und Ängsten. Es geht um Erniedrigungen im Alltag und um die Tücken moderner Technik. Und um ein sprechendes Nagetier.
Auch nach knapp einem halben Jahrhundert fällt es schwer, ein Buch von Stephen King mittendrin einfach wegzulegen. Das gilt auch für „Blutige Nachrichten“. Man muss lesen und blättern, immer weiter blättern, bis zur letzten Seite – wie von Geisterhand.