Hambacher Forst Angehörige des verunglückten Bloggers beschreiben in Brief schockierende Momente
Düsseldorf · In einem Brief erheben die Familien des im Hambacher Forst verunglückten Bloggers schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung. Dabei geht es auch um Räumungen kurz nach dem Unglück.
Der Tag war eine Zäsur im Hambacher Forst: Am 19. September um 15.45 Uhr stürzte der Journalist, Blogger und Kunststudent Steffen Meyn (27) von der Hängebrücke an einem Baumhaus in den Tod. Danach wurden die Räumungen der Polizei für vier Tage unterbrochen. Jetzt erheben Angehörige des Verstorbenen in einem offenen Brief schwere Vorwürfe an die Landesregierung und die Behörden.
In dem Schreiben der Familien Meyn und Fritsche an Ministerpräsident Armin Laschet und Innenminister Herbert Reul (beide CDU) wird kritisiert, dass der Leichnam gegen den Willen der Eltern und ohne Begründung obduziert worden sei. Dabei hätten seine Helmkamera und die polizeiliche Untersuchung klar ergeben, dass es keine Fremdeinwirkung gegeben habe. „Das Wissen um diese in unseren Augen völlig überflüssige und rechtswidrige Störung der Totenruhe belastet uns sehr.“ Die Entscheidung zur Obduktion hatte der ermittelnde Staatsanwalt getroffen.
Innenminister Reul wird vorgeworfen, er habe den Erbauern der Hängebrücke die Schuld am tödlichen Sturz gegeben. Auch seine Behauptungen, es habe hämische Bemerkungen der Aktivisten zu Meyns Tod gegeben, seien „eine unerhörte und nachweislich falsche Aussage“. Reul bezog sich im Landtag auf Angaben von neun Polizeibeamten, die von Schmähgesängen berichtet hatten. Diese standen aber offenbar nicht im Zusammenhang mit dem Absturz. Die Angehörigen schreiben jetzt, der Innenminister habe den Tod des 27-Jährigen benutzt, um gegen die Baumhausbewohner zu hetzen.
Eltern kamen sich vor
„wie in einem Kriegsgebiet“
Als vor allem für die Eltern schockierend beschreibt der Brief den ersten Besuch von Angehörigen an der Unglücksstelle fünf Tage nach dem Absturz. Damals war die Räumung schon wieder aufgenommen worden. „Durch das große Polizeiaufgebot, die Kampfausrüstung der Polizist*innen, die schweren zum Teil gepanzerten Räumungsfahrzeuge, die SEK-Einheiten, die Schreie aus den Räumungsgebieten in der Nähe kamen wir uns vor wie in einem Kriegsgebiet.“ Schon einen Tag später habe die Gedenkstätte wegen der Räumung abgebaut werden müssen. „Wir haben das als ungeheuer rücksichtslos und pietätlos emfpunden, zumal auch noch nicht alle Angehörigen angereist waren, um die Gedenkstätte und den Unglücksort zu besuchen.“
An die Landesregierung richten die Verfasser die Frage, warum sie nicht das Gerichtsurteil und die Ergebnisse der Kohlekommission habe abwarten können, bevor die Räumung angeordnet wurde. Brandschutz- und Baumängel seien vorgeschobene Gründe gewesen. Und an die Adresse von Laschet heißt es, statt der Räumung hätten er und Reul „das Gespräch suchen sollen, abwarten sollen, was das Gericht zur Rodung beschließt und was die Kohlekommission entscheidet“.
In einer ersten Reaktion auf den Brief teilte der Innenminister mit, er habe „allergrößtes Verständnis für die tiefe Trauer und vielleicht auch Hilflosigkeit der Familie“. Ihn habe „der viel zu frühe Tod dieses jungen Mannes“ selbst sehr betroffen gemacht. „Deshalb habe ich unmittelbar nach dem schrecklichen Todesfall den persönlichen Kontakt zu der Familie gesucht und auch gefunden.“ Reul erklärte, er wolle daher auf den Brief nicht so reagieren, „wie man das sonst im politischen Geschäft machen würde – und angesichts der gegen mich persönlich erhobenen Vorwürfe vielleicht auch tun müsste. Ich empfinde nach wie vor tiefes Mitgefühl und bin in meinen Gedanken bei der Familie des Toten.“