Neue Camps und Baumhäuser „Hambi bleibt“ und bleibt und bleibt...
Kerpen · Im Hambacher Forst entstehen neue Camps und Baumhäuser. In Manheim greift die Polizei derweil durch – zur Freude einiger Ex-Bewohner. Aber eines hat man gelernt im Revier: Räumung heißt nicht Ruhe. Eine Reportage.
Hammerschläge hallen zwischen den Bäumen des Hambacher Forst wider. Sie kommen aus „Endor“, einem der neuen Camps im Wald, benannt nach dem Waldplaneten aus „Star Wars“. Zwischen mehreren Bäumen, zusätzlich gesichert von dicken Pfählen, wächst ein „Tower“ in die Höhe – ein Baumhausturm mit drei Etagen, die oberste soll eine Grundfläche von rund 40 Quadratmetern bekommen. Seit wann die Aktivisten wieder im geräumten Forst sind?
„Wir waren nie raus“, sagt ein junger Mann. Es seien zu jeder Zeit Menschen und Baumhäuser geblieben – und während an der einen Seite die Räumung der Polizei noch lief, habe man an der anderen schon neu gebaut.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte Anfang der Woche noch im WZ-Interview angekündigt, eine erneute Besetzung des Hambacher Forstes nicht dulden zu wollen. Er wolle, dass im Wald Ruhe einkehre. „Wenn zwei Jahre nichts passiert, geht kein Polizist mehr in den Wald“, so Reul. „Aber wenn ein Teil der Braunkohlegegner erneut die Regeln verletzt, müssen wir das wieder in Ordnung bringen.“
Der junge Aktivist in „Endor“ indes hat nicht das Gefühl, nach dem gerichtlichen Rodungsstopp abziehen zu können. „Das war kein Sieg. Höchstens eine Etappe.“ Lücken seien schnell gefunden, Gerichtsentscheidungen gekippt. Das Camp liegt hinter in einer zwei Meter hohen Mauer aus Totholz, es erstreckt sich um den „Tower“ als Zentrum. Wie viele Menschen dort später wohnen können? „Das wissen wir noch nicht. Aber jeder dieser Knoten da oben“, er deutet auf mehrere Seile an einem Stützpfeiler, „trägt zwei Tonnen.“ Über Lastenverteilung und Witterungsbedingungen fachsimpelt der Aktivist. Man weiß in Sachen Statik wohl, was man tut. Eine junge Blondine kommt hinzu und schaut nach oben. „Wir sind schon zäh, oder?“, fragt sie lächelnd.
Und das verstecken die Waldbesetzer auch nicht. Ein Stück weiter, gleich neben der alten Autobahn A4, weisen am Waldrand ein paar Steintürmchen und ein Holzschild den Weg zum nächsten Dorf: „Krähennest“. Dahinter hängt ein Stofftransparent in den Bäumen: „Es ist noch nicht vorbei“. Das ist es ganz offensichtlich nicht. Aus einem von mehreren neuen Baumhäusern hört man auch hier Gehämmer. In der Campküche wird gerade Inventur gemacht und das Mittagessen vorbereitet. Währenddessen rammt ein junger Mann Pfeiler im Kreis in den Boden.
„Das wird mein Eigenheim“, sagt er. Ein Loch mit kleinem Kanal außerhalb der späteren Wand soll eine Feuerstelle werden – „für die Fußbodenheizung“, erklärt er lachend. Zwei bis vier Wochen habe er für die Bauzeit eingeplant. Der junge Mann ist neu im Hambacher Forst. Er habe keine Lust mehr auf Großstadtleben gehabt. „An Widerstand bin ich nicht interessiert“, gibt er freimütig zu. Willkommen sei er bei den Aktivisten dennoch.
Nicht nur neue Camps wachsen derzeit im Hambacher Forst: Die fünf Baumhäuser im früheren „Oak Town“ auf etwa 20 Metern dürften zu den höchsten im Wald gehören. Sie sind auch schon wieder über sogenannte Traversen – Quergänge für Kletterer – verbunden. Mit Geschirren sind die Aktivisten unterwegs, an stabilen Seilen werden Europaletten und von Rinde befreite meterlange Äste in die Höhe gehievt. In direkter Nachbarschaft ist das ehemalige „Beach Town“ indes nur noch eine stille Gedenkstätte für den abgestürzten Blogger, der dort starb. Fotos, Transparente und Grablichter umrahmen einen kleinen Altar, auf dem unter anderem die Brille des jungen Mannes liegt.
Auch unmittelbar am Waldrand leuchtet die weiße Plane eines Baumhauses durch das Grün – nur wenige Meter vom Wiesencamp entfernt, das der Räumung knapp entgangen war. Eine Fotografin, die dort seit Mai lebt, glaubt, dass es wichtig ist, zu bleiben: „Wenn wir erst in zwei Jahren wiederkämen, wäre es zu spät.“ Außerdem seien die Aktivisten aus dem Camp jetzt damit beschäftigt, systematisch die Fledermauslöcher in den Bäumen wieder zu öffnen, die RWE mit Folien versiegelt habe, die verendeten Tiere einzusammeln und zu dokumentieren. Sie ist sicher, dass der Konzern weiterhin versuchen werde, Tiere aus dem Forst zu verdrängen. Also wird sie wohl den Winter in einem der Lehmhäuser verbringen, die in den Boden gegraben sind – ihres hat im Inneren einen Torbogen mit dekorativ eingefassten Glasflaschen und ein zweistöckiges Bett.
„Hambi bleibt“ wird aber nicht mehr nur im und direkt am Hambi gefordert. Die Aktivisten haben auch die bereits fast vollständig umgesiedelten Geisterdörfer in der Nachbarschaft entdeckt. Vom Wald aus, ist das Erste, was von Manheim zu sehen ist, der Kirchturm St. Albanus – vor den Dampfwolken aus den RWE-Werken.
Die Straßenzüge wirken wie die Kulisse eines Zombiefilms. An der Dorfkneipe steht noch, welches Pils und welches Kölsch hier mal floss. Aber dort sind ebenso wie an einem alten Fachwerkhaus mit bröckelndem Gartenzaun die Rollläden heruntergelassen. Wie fast überall. Nur an der Ecke Friedenstraße/Forsthausstraße an diesem Mittwoch nicht. Dort sitzen die Hausbesetzer noch auf den Garagendächern, gegenüber hockt Tim – Hambi-Aktivist der ersten Stunde – auf einer Mauer. Er deutet auf das gelbe Eckhaus. „Das ist das alte Forsthaus“, erklärt er. „Bis hierhin ging mal der Hambacher Forst.“ Auf jener Straßenseite haben die Protestler mehrere Häuser annektiert und miteinander verbunden. In einem lange verlassenen Wohnzimmer steht wieder eine Sofagarnitur, die Wände zieren bunte Bilder und Parolen. „Ich möchte mir fast die Schuhe ausziehen, wenn ich reinkomme“, sagt „Flitze“, einer der Besetzer. „Bis ich merke, wie sehr meine Socken stinken.“ Er grinst. Strom und Wasser sind lange abgedreht.
Wie die Hausbesetzer wahrgenommen werden, ist sehr unterschiedlich. „Die jungen Leute stören doch nicht“, sagt eine 75-Jährige, die zu den wenigen noch verbliebenen Alt-Manheimern gehört. Die Polizeiwagen in ihrer Garagenauffahrt seien viel lästiger. „Aber es bringt doch nichts“, meint sie schulterzuckend. Auch sie wird gehen, Anfang des Jahres hoffentlich, wenn ihr neues Haus in Neu-Manheim endlich fertig ist. Der Abschied hat für sie zwei Seiten. „Ich bin hier geboren, mein Mann und ich haben hier gebaut.“ In der Kirche, die dem Tagebau weichen soll, heirateten die beiden. Ihr Mann ist inzwischen tot. Ihr ganzes Leben ist mit dem Dorf verwoben. Nur dass es im Dorf eben kein Leben mehr gibt. „Es ist manchmal schon etwas trist“, sagt sie leise. Ihr Sohn ziehe mit ins neue Haus, außerdem wohne ihre alte Freundin auf der anderen Straßenseite. Vielleicht gebe es ja sogar ein Café – das hat Alt-Manheim schon lange nicht mehr.
An diesem Tag allerdings wird ihr Dorf mehr Trubel erleben, als der 75-Jährigen lieb ist. Denn plötzlich klingt vom alten Sportplatz laute Musik: „Empöööört euch. Denn diese Welt, sie gehööört euch“. Zu beschwingter Musik stampfen die Anhänger des Bündnisses „Ende Gelände“ ihr Protestcamp aus dem Boden, das an dieser Stelle nicht genehmigt ist und in der Nacht von der Polizei geräumt werden wird. Das, was RWE in Manheim und drumherum vorhabe, sei „völlig aus der Zeit gefallen“, sagt Bündnismitglied Daniel Hofinger aus Bonn. Man dürfe angesichts des Klimawandels „keinen Friedhof, keine Kirche, kein Dorf und keinen Wald mehr der Kohle opfern“. Tausende Aktivisten aus ganz Deutschland und sogar Prag sollen bis Freitag anreisen.
Während Polizeitransporter um Polizeitransporter in den Ort rollt, formiert sich vor dem Bauzaun, der den Sportplatz umfriedet, ein Protest gegen den Protest: Einige Neu-Manheimer, die früher Alt-Manheimer waren, schütteln den Kopf über den Zeltbau. „Das ist unser Dorf“, beharrt ein 47-Jähriger. Die Aktivisten wolle er weder auf der Wiese noch in seinem früheren Haus. „Ich habe das verkauft, damit es abgerissen wird“, sagt er. „Es ist hier so in der Region. Wir haben uns mit dem System abgefunden.“ Er sei aufgewachsen mit dem Wissen, nicht in Alt-Manheim bleiben zu können. „Wir haben das als neue Chance gesehen.“ Lust auf einen jahrzehntelangen Kampf hatte er nicht – auch wenn es „ein doofes Gefühl“ gewesen sei, den Schlüssel zum Bauernhof, der seiner Familie seit Generationen gehörte, abzugeben.
Mit der Dunkelheit kommt immer mehr Polizei und auch die Zahl der wütenden Alt-Manheimer nimmt zu. „Die Konzerne ernähren uns hier in der Region“, sagt einer, eine Mutter erklärt, ihre Kinder hätten angesichts der Vermummten Angst, IS-Terroristen seien eingedrungen. Den Einwand der Braunkohlegegner, man kämpfe doch auch für sie, lassen die ehemaligen Bewohner nicht gelten: „Das wollen wir nicht. Das reißt nur immer wieder Wunden auf.“ Derweil parken die Polizisten ihre Transporter in einem Kreis Stoßstange an Stoßstange, um eine Gefangenensammelstelle einzurichten. Über die Wiese zwischen den weißen Zelten springt weniger Meter weiter ein Aktivist im Pandakostüm.
Obwohl die Räumung von „Ende Gelände“ kurz vor 23 Uhr beginnt, sind es an diesem Tag nicht in erster Linie Staatsmacht und ziviler Ungehorsam, die aufeinanderprallen. Sondern diejenigen, die unermüdlich und für ihr Leben gerne kämpfen. Und diejenigen, die es müde sind, nicht ihr Leben lang einen Kampf führen wollten – und die sich von den jungen Idealisten aus allen Ecken Europa nicht vorführen lassen wollen als Drückeberger, die sich an RWE verkauft haben.
Auch diese Menschen erleben einen Etappensieg in den kommenden Stunden. Erst werden die „Ende Gelände“-Aktivisten mitgenommen, am Donnerstagmorgen dann die besetzten Häuser im Dorf geräumt. „Aus gefahrenabwehrenden Gründen“, wie es vom Polizeipräsidium Aachen heißt: „Dort werden fortwährend Straftaten begangen.“ Aber eines hat man gelernt im Revier: Räumung heißt nicht Ruhe. Am Mittag verkündet „Ende Gelände“-Sprecherin Karolina Drzewo: Alle Aktivisten seien wieder frei, Busse um Busse kämen mit weiteren Unterstützern an. Tausende sollen es bis zum Wochenende werden. Und: „Wir haben einen neuen Ort“. In Düren-Stepprath auf einem Privatgelände. Von dort soll die Blockade des RWE-Tagebaus am Samstag geplant werden.