Film „Tanzträume“: Dieser Film bleibt aktuell

Anne Linsels Werk über Jugendliche, die 2007 Pina Bauschs Stück „Kontakthof“ einstudiert haben, erfährt jetzt in Frankreich großes Interesse.

Anne Linsel war mit ihrem Film „Tanzträume“ in der Normandie zu Gast, um an einem Educationprojekt teilzunehmen.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Es sei ihr einziges Stück, das sie auch mit Laien für realisierbar halte, hat Pina Bausch einmal in einem Interview mit der Journalistin Anne Linsel gesagt. Und so brachte die Choreographin ihren „Kontakthof“ im Jahr 2000 mit Laien, allesamt mindestens 65 Jahre alt, auf die Bühne. Ließ diesem Experiment 2007 ein weiteres – diesmal mit Jugendlichen ab 14 Jahren – folgen. Mit dabei Anne Linsel, die Pina Bausch seit den 70er Jahren journalistisch begleitete und damals die Dokumentation „Tanzträume“ drehte. Ein Film, der 2010 die Berlinale eröffnete und seither immer wieder europaweit gezeigt wurde. Gerade erfährt er in Frankreich wieder großes Interesse.

Die E-Mail kam im Sommer. Jean-Marie Vinclair, Leiter des Collège au Cinéma, einem Education-Projekt, in Caen (Normandie), lud die Wuppertalerin Anne Linsel ein, um ihren Film dort zu präsentieren. Weil Vinclair eine Schwiegermutter in Hamm hat, folgte im Sommer ein Treffen in Wuppertal (wo Vinclair und seine Frau auch die Aufführung von „Café Müller“ und „Sacre“ im Opernhaus besuchten), bevor Anne Linsel Anfang November nach Caen reiste. „In Frankreich ist Kino ein Schulfach. Drei Filme pro Jahr werden Lehrern gezeigt, diesmal waren es Filme für 14- bis 17-jährige Schüler“, erklärt Linsel, weshalb die Wahl gerade jetzt auf ihren Film fiel.

Zunächst mussten die
Lehrer fit gemacht werden

7000 Schüler meldeten sich, um sich mit ihrem Film im Unterricht zu befassen. Doch zunächst galt es, zirka 100 Lehrer fit zu machen – mit Material und einer intensiven Veranstaltung. In einem neuen Kinokomplex am Stadtrand wurden zunächst der Film gezeigt, anschließend durch eine Tanzlehrerin und eine Cinémalehrerin erklärt und analysiert sowie von Linsel selbst vorgestellt, bevor man ins Gespräch kam. Die Wuppertalerin freute sich über den intensiven und kompetenten Umgang mit ihrem Film, der auch das große Interesse der Franzosen an Pina Bauschs Werk spiegele. „In Frankreich wurde sie von Anfang an geliebt wie nirgends sonst.“

„Tanzträume“ ist ein erzieherischer und zugleich faszinierender Film. Er begleitet 40 Schüler und Schülerinnen verschiedener Wuppertaler Schulen über mehrere Monate. Er zeichnet einerseits auf, wie sie unter der Leitung der Bausch-Tänzerinnen Jo Ann Endicott und Bénédicte Billiet das Stück „Kontakthof“ einstudieren und wie sie auch mit Pina Bausch arbeiten – es sind die letzten Aufnahmen der 2009 verstorbenen Choreographin. Andererseits zeigt er die Jugendlichen in ihrem Umfeld. So wird nicht nur eine tänzerische Entwicklung sichtbar, zu sehen ist auch, wie die Jugendlichen mit den Themen des Stücks, der Suche nach Liebe und Zärtlichkeit, aber auch den damit verbundenen Enttäuschungen und Aggressionen bis hin zu Übergriffigkeit und Machtmissbrauch in einer gerade in dieser Hinsicht labilen Lebensphase umgehen. „Es war ein großes Glück, mit den Jugendlichen zu arbeiten“, erinnert sich Linsel an viele bewegende Momente. Freut sich, dass mit Jan Möllmer und Safet Mistele zwei der Jugendlichen von damals eine erfolgreiche Tanzkarriere eingeschlagen haben und fast alle heute ihren Weg gefunden haben – in Beruf, Ausbildung oder Studium.

Auch 2019, das für das Tanztheater mit dem zehnjährigen Bestehen der Foundation und dem zehnten Todestag Pina Bauschs ein besonderes werden wird, soll „Tanzträume“ gezeigt werden. In Wuppertal und auch beim Sender Arte, der eine Pina Bausch-Nacht plane. Linsel hat den Auftrag, für das ZDF und den deutsch-französischen Fernsehsender einen 52-minütigen Film zu drehen, der sich auch mit der Weitergabe des Werks Pina Bauschs beschäftigen soll. Anfang des Jahres sollen die Dreharbeiten beginnen – welche Stücke darin vorkommen werden, ist – gemäß ausstehendem Spielplan – noch nicht zur Gänze geklärt. Linsel: „Ich hoffe, dass der Film gut wird und zeigt, dass die Wuppertaler Kompanie nach wie vor auf höchstem tänzerischen Niveau ist.“