Eingestellte Strafverfahren Millionen-Geldsegen von der NRW-Justiz
DÜSSELDORF · Wenn Gerichte und Staatsanwaltschaften Verfahren gegen Geldauflage einstellen, profitieren Vereine. Das funktioniert so:
Strafverfahren enden mit Urteilen, in denen der oder die Angeklagte zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt wird. Oder mit einem Freispruch. Aber es gibt noch eine weitere Variante: die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage nach § 153 a Strafprozessordnung. Eben dies ist Gerichtsalltag. Die Idee dahinter: Kleine oder mittlere Kriminalität, oftmals auch komplizierte Wirtschaftskriminalität soll effektiv „erledigt“ und die Justiz möglichst ressourcenschonend eingesetzt werden. Hier wird durchaus viel Geld bewegt.
Die NRW-Strafgerichte und Staatsanwaltschaften haben 2022 Geldauflagen in Höhe von mehr als 30 Millionen Euro erteilt. Gut 17 Millionen davon (rund 58 Prozent) gingen an die Staatskasse. Knapp 13 Millionen flossen an gemeinnützige Einrichtungen. Aber wie funktioniert das, wie kommt eine gemeinnützige Einrichtung in den Genuss solchen Geldsegens? Und wie entscheiden Richter und Staatsanwälte, wer profitiert?
Die Geld-Empfänger
Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf führt zentral für NRW ein Verzeichnis gemeinnütziger Einrichtungen. Dort sind bereits 2800 Einrichtungen registriert. Von Institutionen wie „Aktion Deutschland Hilft“, „Ärzte ohne Grenzen“ oder „Deutscher Kinderhospizverein“ bis hin zu lokalen Einrichtungen von A wie „Aachener Engel“ bis Z wie „Zülpicher Tafel“. Vertreter gemeinnütziger Organisationen, die in die Liste aufgenommen werden möchten, geben in der Suchmaske der Internetseite des Justizministeriums (justiz.nrw.de) die Suchworte „Gemeinnützige Einrichtungen (Online-Anmeldung)“ ein. Dort können sie einen Antrag auf Aufnahme ins Verzeichnis stellen. Dabei müssen sie belegen, dass sie von der Körperschaftssteuer befreit sind und sollen die Satzung ihrer Organisation hochladen.
Gemeinnützigkeit ist dabei nach der entsprechenden Justizverwaltungsvorschrift in einem weiten Sinne zu verstehen. Gemeint sind nicht nur mildtätige oder kirchliche Zwecke, berechtigt sind auch Einrichtungen, „deren Tätigkeit nur einem beschränkten Personenkreis nutzt, sofern durch die Erfüllung des Zwecks der Einrichtung Belange der Allgemeinheit gefördert werden“, heißt es in der internen Richtlinie.
Wer sich auf diese Weise Richtern und Staatsanwälten als möglicher Empfänger von Geldauflagen präsentiert hat, sollte bei weiteren Initiativen, die Justiz auf sich aufmerksam zu machen, zurückhaltend sein. So rät es ein Leitfaden der Justiz. Darin heißt es: „Vielfach besteht der Wunsch insbesondere lokaler Einrichtungen, durch Broschüren die Aufmerksamkeit der Richter und Staats- sowie Amtsanwälte zu wecken. Wegen der Menge der eingehenden Werbematerialien ist eine Verteilung bei den angesprochenen Personen nicht sinnvoll. Einerseits belastet die Verteilung die Geschäftsabläufe, andererseits kann kein Adressat die Flut der eingehenden Flyer mit der von Ihnen erhofften Aufmerksamkeit studieren.“ Im Gegenteil: Gerade das Übersenden von Hochglanzbroschüren könne dazu führen, dass man sich über die Geldverschwendung für solche Ausgaben ärgert und eine Einrichtung gerade nicht mehr bedenkt. Sehr wohl könne man bei der Anmeldung eine Internetadresse mit den Schwerpunkten der Aktivitäten angeben, die für die Entscheidungsträger bei der Einsicht in die Liste angezeigt wird.
Die „Geldgeber“
Im NRW-Justizministerium heißt es, dass dieses bei der Frage, wohin die Mittel aus den Geldauflagen fließen, strikte Neutralität wahre und sich jeder Einflussnahme enthalte. Aber wie entscheiden Richter und Staatsanwälte, wem sie im Einzelfall das Geld zukommen lassen? Haben sie freien Spielraum, welcher Organisation sie die Auflage zusprechen, wenn sie den Kriterien entspricht? Gibt es Grenzen, wenn etwa ein Richter oder Staatsanwalt selbst in dem Verein ist, den er oder sie bedenken will? Das haben wir die zuständige Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf gefragt.
Deren Sprecher, Oberstaatsanwalt Holger Heming, verweist auf die entsprechende Justizverwaltungsvorschrift. Darin heißt es: „Um den Anschein zu vermeiden, staatliches Handeln könne von den privaten Interessen der Amtsinhaber (Richterinnen und Richter sowie Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaft) gesteuert sein, haben diese sich bei vorhandenen persönlichen Interessen jeder Amtshandlung zu enthalten. Diesem Grundsatz ist bei der Auswahl einer gemeinnützigen Einrichtung dadurch Rechnung zu tragen, dass auch nur der Anschein vermieden wird, diese könne von privaten Interessen beeinflusst sein.“ Die Zuweisung von Geldauflagen in einer Höhe über 7500 Euro an einzelne Einrichtungen durch Staatsanwälte bedarf danach der Mitzeichnung des Vorgesetzten. Durchaus können bei der Frage, an wen das Geld gehen soll, auch Vorschläge des Beschuldigten oder des Geschädigten berücksichtigt werden.
Darf das Geld auch schon mal in der Datei gar nicht gelisteten Vereinen zukommen? Heming dazu: „Soweit die Zuweisungsentscheidung durch ein Gericht erfolgt, können diese nach Maßgabe der allgemeinen Kriterien auch nicht gelistete Einrichtungen berücksichtigen, wobei eine sachgerechte Mittelverwendung zu gewährleisten ist.“