Verschwörungs-Erzählungen Neuen Verschwörungsmythen entgegenwirken
DÜSSELDORF · Die Grünen-Spitze im Land sieht bereits ein Umschwenken von Corona-Themen auf dubiose Erzählungen zum Ukraine-Krieg und dessen Folgen.
Auch wenn die Coronaschutzmaßnahmen nun trotz der weiter hohen Infektionszahlen gelockert werden, und auch wenn damit demnächst die Proteste nachlassen dürften – die in Zeiten der Pandemie von der Protestbewegung geknüpfte Vernetzung wird schnell dazu führen, dass neue Verschwörungsmythen entstehen. Und sie entstehen bereits jetzt. Das sagen Mona Neubaur und Verena Schäffer.
Die Spitzenkandidatin für die Grünen bei der NRW-Landtagswahl im Mai und die Grünen-Fraktionschefin im Landtag sehen darin „eine Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat und für alle hier lebenden Menschen, insbesondere für Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten“. In einem eindringlichen Positionspapier, das sie bei einem Pressegespräch am Montag vorstellten, legen die beiden grünen Spitzenfrauen ihre Analyse vor. Eine Analyse, die in konkrete Handlungsversprechen mündet, sollten die Grünen Teil der nächsten Landesregierung sein.
Die Hass-Erzählungen im Netz führen zu realer Gewalt
Hinter dem Verbreiten von Verschwörungsmythen stehe ein Misstrauen in das demokratische System als solches. Und Einstellungen wie Antisemitismus, Rassismus oder Islamfeindlichkeit, aber auch eine höhere Gewaltbereitschaft, heißt es in dem Papier. Das berge große Gefahren für die Gesellschaft und darüber hinaus für einzelne Menschen. Neubaur macht das mit einem Blick auf Exzesse während der Coronapandemie deutlich. „Der Versuch von mehreren Hundert Personen im August 2020, in den Bundestag einzudringen, Ausschreitungen und Angriffe gegen Polizisten bei mehreren Versammlungen und nicht zuletzt der Mord an einem Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein bilden die Spitzen der voranschreitenden Radikalisierung des verschwörungsideologisch geprägten Corona-Protest-Spektrums.“
Verschwörungsmythen seien Teil rechtsextremer Ideologie. Die verschwörungsideologischen Narrative des „Großen Austauschs“, also der angebliche Plan, die Bevölkerung durch Geflüchtete zu ersetzen, seien Motive für mehrere rechtsterroristische Anschläge wie zum Beispiel in Halle, Hanau und München gewesen.
Während man bislang davon ausgegangen sei, nach Corona würden sich die Verschwörungsmythen auf ein Leugnen der Klimakrise konzentrieren, werde nun bereits eine andere Stoßrichtung sichtbar. In sozialen Netzwerken werde der Angriffskrieg gegen die Ukraine verschwörungsideologisch gedeutet als Mittel, um eine „neue Weltordnung“ zu schaffen. Dabei seien Pro-Putin-Positionen in diesem Spektrum weit verbreitet. Gegenüber den Demonstrationen gegen den Krieg werde Unverständnis geäußert, da man in den Coronaschutzmaßnahmen die größere Gefahr sieht.
Fraktionschefin Verena Schäffer: „Das Thema spielt in den Chats und Foren der Coronaleugner eine Rolle. Neue Verschwörungserzählungen werden gesponnen, zum Beispiel, dass der Angriff Russlands eine Inszenierung des Westens sei und dass man nur ablenken möchte, weil das eigentliche Ziel das Schaffen einer neuen Weltordnung sei.“ Auch das Thema Energiepreise werde wohl in die nächste Erzählung eingebaut. Und, so Schäffer, es gebe die Gefahr, dass es zu Hass und Hetze gegenüber Geflüchteten kommen werde. „Oder zu einer Hierarchisierung von Geflüchteten – dass man sagt, die Ukrainer sind die Guten, und die anderen sind die Schlechten.“
Der Gefahr solch massenhaft verbreiteter Erzählungen gelte es vorzubeugen und entgegenzuwirken, fordern die Grünen. Aber wie? Dazu haben Neubaur und Schäffer ein Zwölf-Punkte-Programm erarbeitet, das die nächste Landesregierung umsetzen soll. Weil die Vergangenheit gezeigt habe, dass die in der Szene propagierte Gewaltbereitschaft in tatsächliche politisch motivierte Gewalt umschlage, sollten Sicherheitsbehörden potenziell Betroffene informieren und schützen. Dazu müssten die Behörden ihr Monitoring in den sozialen Netzwerken intensivieren.
Es müsse ein neues Beratungsangebot für Angehörige von Verschwörungsgläubigen geben. Schließlich sei es eine enorme Belastung, wenn die eigene Mutter, der beste Freund oder die Arbeitskollegin an Verschwörungsmythen glauben. Gleichzeitig seien Verwandte, Freundinnen und Freunde oft die einzigen Personen, die noch Zugänge zu den Verschwörungsgläubigen finden und damit möglicherweise auch ein Umdenken anregen können.
Die Medien- und Demokratiekompetenz solle nicht nur bei Kindern und Jugendlichen in der Schule gestärkt werden, sondern auch bei Erwachsenen, so die Grünen. Menschen, die weniger oder kaum über die Medien angesprochen werden, könne man zum Beispiel über Volkshochschulen erreichen, sagt Mona Neubaur. Verena Schäffer ergänzt: „Auch über die Betriebe, über ihre Arbeitsstelle, könnten Menschen erreicht werden, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften eingebunden werden. „Die Landesregierung muss dafür sorgen, dass das Aufklärungsmaterial, das etwa die Landeszentrale für politische Bildung erarbeitet, auch da ankommt, wo die Menschen sind.“