Gutachten Was der Wissenschaftsrat bei den Universitätskliniken in NRW bemängelt
Düsseldorf · Gut, sehr gut, exzellent: So beschreibt der Wissenschaftsrat den Standort NRW. Aber im Detail mangelt es nicht an Kritik.
66 Gutachter haben knapp zwei Jahre daran gearbeitet und ihre Erkenntnisse auf rund 1500 Seiten ausgebreitet: Erstmals seit 20 Jahren liegt wieder eine Analyse des Wissenschaftsrats zum Zustand der Medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken in NRW vor. Und die zusammenfassenden Bewertungen klingen zunächst ein bisschen wie ein Arbeitszeugnis, in dem keine negativen Formulierungen stehen dürfen: „Insgesamt gute bis sehr gute, aber auch herausragende Standorte“ werden dem Land von dem Gremium bescheinigt, dessen Aufgabe es ist, Bund und Länder bei der Entwicklung von Hochschulen, Wissenschaft und Forschung zu beraten.
Als aufgehenden Stern am Firmament der medizinischen Wissenschaftswelt sieht der Beirat die RWTH Aachen. Sehr gute bis exzellente Forschung, moderne und innovative Lehre. Auch Bonn darf sich über das Adjektiv „exzellent“ freuen. Und Köln wird als einer „der leistungsstärksten Standorte in Nordrhein-Westfalen“ mit „nationaler und internationaler Sichtbarkeit“ geadelt.
In Düsseldorf fehlt es an einem Konzept für Infrastrukturen
Aber je genauer man hinguckt, desto kritischere Einschätzungen finden sich auch. Düsseldorf beispielsweise wird zwar für die erfolgreiche Einleitung des Wandels gelobt. Trotz zahlreicher Wechsel in der Leitung von Medizinischer Fakultät und Uniklinik „sowie einer bedrohlichen wirtschaftlichen Situation des Klinikums“ sei es gelungen, die Basis für ein strategisches Gesamtkonzept zu schaffen. Zum beginnenden Profilierungsprozess zählt der Wissenschaftsbeirat beispielsweise die Zusammenarbeit mit Aachen, Bonn und Köln im Centrum für Integrierte Onkologie. Aber insgesamt sei „die Einwerbung von Verbundförderprojekten in der Forschung zu schwach ausgeprägt“.
Düsseldorf müsse sich strategischer aufstellen. Das Gutachten bemängelt ein fehlendes Konzept für Infrastrukturen. Es werde benötigt, „damit zum Beispiel die unzureichenden IT-Infrastrukturen die Forschung nicht länger behindern“. Um den Klinikbetrieb effizienter zu machen, mahnt der Wissenschaftsrat auch bauliche Investitionen an.
Die Uniklinik hat direkt am Montag mit einer dreiseitigen Stellungnahme reagiert. Man fühle sich in seinem Konzept einer verstärkten Zusammenarbeit unter Wettbewerbern gestärkt, sagte Nikolay Klöcker, Dekan der Medizinischen Fakultät. „Solche Kooperationen funktionieren aber nur, wenn alle Kooperationspartner im gemeinsamen Projekt einen klaren Mehrwert für sich erkennen.“ Frank Schneider, Ärztlicher Direktor der Uniklinik, sprach von vielen Herausforderungen, „für die noch erhebliche Investitionen notwendig sein werden“. Unirektorin Anja Steinbeck erklärte, für ihre zweite Amtszeit eine verstärkte Zusammenarbeit unter den Fakultäten und eine engere strategische Abstimmung zwischen Universität und Uniklinik „ganz oben auf meine Agenda“ gesetzt zu haben. Sie beklagte, dass noch immer die Mittel für die Schaffung eines echten Zentralklinikums fehlen.
Im Gutachten des Wissenschaftsrats mangelt es auch bei anderen Standorten nicht an kritischen Hinweisen: Dem Bochumer Modell mit seinen acht Trägern und zwölf Kliniken bei einer Medizinischen Fakultät raten die Experten dringend zur Reduzierung der Klinikanzahl und zu mehr Einfluss der Wissenschaft in der Steuerung. Zum gerade begonnenen Modellprojekt Bonn-Siegen sagt Ingo Autenrieth, Vorsitzender der Gutachterkommission, den vergleichsweise vernichtenden Satz: „Es hat uns nicht überzeugt.“ Und bei der neuen Fakultät in Bielefeld hält es der Wissenschaftsrat für „unumgänglich, den zum Wintersemester 2021/22 vorgesehenen Studienstart zu verschieben“.
Das hört Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) natürlich gar nicht gerne: „Wir wünschen uns, dass es möglichst bald losgeht.“ Wie mit den Einschätzungen des Gutachtens nun umgegangen werden soll, will das Ministerium bereits Ende November in einem ersten „Runden Tisch Universitätsmedizin“ mit allen Standorten besprechen. Bis dahin müssen erst einmal die 1500 Seiten durchgearbeitet werden. Dass darin auch zahlreiche Argumentationshilfen für Forderungen nach mehr Geld enthalten sind, ist aber bereits klar. Schon ist die Rede davon, das noch von Rot-Grün aufgelegte und bis 2020 begrenzte Medizinische Modernisierungsprogramm mit seiner bisherigen Fördersumme von 2,4 Milliarden Euro zu verstetigen.