#MeToo-Debatte WDR: Sexueller Missbrauch ist nur Spitze des Eisbergs

In ihrem #MeToo-Bericht kritisiert Monika Wulf-Mathies vor allem in den WDR-Direktionen Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen. Der Intendant verspricht Reformen, aber keine personellen Veränderungen.

Monika Wulf-Mathies (r), frühere Gewerkschaftschefin, und Tom Buhrow, WDR-Intendant, stellten den Abschlussbericht zum Umgang des WDR mit sexueller Belästigung vor.

Foto: Oliver Berg

Bonn/Köln. Die frühere Gewerkschaftschefin Monika Wulf-Mathies sieht in den Programmdirektionen des WDR strukturelle Defizite, die Machtmissbrauch, das Bilden von Seilschaften und vielfältige Diskriminierungen begünstigten.

„Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass das Thema sexueller Missbrauch nur die Spitze des Eisbergs ist“, sagte Wulf-Mathies bei der Vorstellung ihres Berichts in Bonn. Es fehle an klaren Regeln und gegenseitiger Wertschätzung.

Nach dem Bekanntwerden mehrerer unaufgeklärter Fälle von sexueller Belästigung, denen führende Mitarbeiter des Senders laut Wulf-Mathies nicht genügend nachgingen, „obwohl der Flurfunk nicht verstummte“, hatte Intendant Tom Buhrow die frühere Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV (heute Verdi) als externe Untersucherin um einen Bericht gebeten.

Es geht laut Buhrow um rund ein Dutzend Fälle, die Wulf-Mathies in ihrem Bericht jedoch nicht konkret aufgreift. Insgesamt habe sie rund 35 Gespräche mit Betroffenen und Zeugen geführt. Etliche ihrer Gesprächspartner hätten von einem „Klima der Angst“ berichtet, so Wulf-Mathies. Ein derart kritisches Stimmungsbild weise auf „Strukturprobleme und personalpolitische Defizite hin, die in der Vergangenheit von der WDR-Spitze nicht hinreichend wahrgenommen wurden“. Für die meisten Fälle, die sich bereits in den 90er Jahren zutrugen, bemängelt Wulf-Mathies, „dass Vorgesetzte damals keine Maßnahmen zum Schutz von Frauen ergriffen haben, es keine festen Regeln gab, wie mit Vorwürfen sexueller Belästigung umzugehen ist, und Frauen aufgrund des Betriebsklimas kein Vertrauen hatten, um sich direkt an den Arbeitgeber zu wenden.“

Auch behinderten die dezentralen Strukturen der einzelnen WDR-Direktionen einen effizientes Personalmanagement. Es gebe nicht einmal einen Konsens über die Anwendung von Grundsätzen der Personalführung, Fort- und Weiterbildung oder der Bewertung von Führungskräften. Die „Silo-Strukturen“ (jeder Bereich blickt nur auf sich) und starke Hierarchien förderten die Machtkonzentration, Personalverantwortung werde unterbewertet. So überrascht es eigentlich nicht, dass „WDR“ nicht gleich „WDR“ ist.

Wulf-Mathis: „Es fällt auf, dass Fälle von sexueller Belästigung häufig im Fernsehbereich stattgefunden haben. Von mehreren Gesprächspartnern wurde dieser Bereich als besonders ,gefahrengeneigt‘ beschrieben.“ Daher müsse gerade die Fernseh-Direktion unmissverständliche Signale setzen: „In der Vergangenheit hat es an dieser Deutlichkeit bisweilen gefehlt. Es wird deshalb empfohlen, der inneren Verfassung in diesen Bereichen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“ Tom Buhrow, der an der Präsentation des Berichts teilnahm, ist offenbar nicht geneigt, die geforderte „besondere Aufmerksamkeit“ mit personellen Konsequenzen zu untermauern. Von einer NDR-Journalistin konkret auf Berichte angesprochen, dass namentlich die heutige Leiterin des ARD-Haupstadtstudios, Tina Hassel, und WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn nach erfolgloser Aufklärung keineswegs entlastete Beschuldigte teils auf prestigeträchtige Posten protegiert hätten, betonte Buhrow, beide hätten „volle Aufklärungsbereitschaft“ gezeigt und genössen sein Vertrauen.

Eigentlich hatte der Vertrag von Fernsehdirektor Jörg Schönenborn (und Hörfunkchefin Valerie Weber) bereits im Mai vom Rundfunkrat verlängert werden sollen. Wegen der anhaltenden Vorwürfe in der #MeToo-Affäre nahm Buhrow den Vorschlag jedoch wieder von der Tagesordnung, um den Bericht von Wulf-Mathies abzuwarten. Obwohl der vor allem zu Schönenborns Verantwortungsbereich reicht deutlich ausfällt, will Buhrow offenbar an ihm festhalten. Schönenborn und Weber waren Buhrows erste wichtige Personalentscheidungen als Intendant. Er werde innerhalb der vorgesehen Frist Vorschläge machen, so Buhrow gestern. „Sie können ja Rückschlüsse ziehen“, sagte er weiter unter Bezug auf seine Vertrauensbekundung.

Im Bereich der Direktionen plant der WDR eine umfangreiche Strukturreform. Diese bezieht sich jedoch weniger auf die massiven Probleme, die der Bericht von Monika Wulf-Mathies auflistet, sondern eine künftig eher crossmediale Ausrichtung des Senders, in dem die Grenzen zwischen Radio, TV und Internet fließender werden sollen. Monika Wulf-Mathies mahnt für die Zukunft freilich ganz andere Maßnahmen an: „Eine dauerhafte externe Anlaufstelle für Betroffene, eine neue, umfassendere Dienstvereinbarung mit der Einrichtung einer Clearingstelle, die Beschwerden prüfen und Kommunikationsmängel beseitigen soll, und ein eindeutig definiertes Verfahren mit klaren Berichtswegen und Zuständigkeiten.“ Für die Betroffenen sei entscheidend, „dass sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Machtmissbrauch nicht geduldet werden, dass klar ist, welches Verhalten verboten ist und Sanktionen nach sich zieht und dass Betroffene und Zeugen vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt werden.“

Die Prüferin betonte, der WDR sei „durchaus mutig“ gewesen, so offen mit dem Thema umzugehen und den Bericht nicht einer Schublade verschwinden zu lassen. Für den WDR müsse es darum gehen, für seine Beschäftigten ein respektvolles und diskriminierungsfreies Arbeitsklima zu schaffen. Buhrow erklärte, sein persönliches Credo sei immer gewesen, dass in seiner Umgebung eine gute und vertrauensvolle Atmosphäre herrschen müsse: „Gute Leistung und gute Laune gehören zusammen.“