Tod des ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Wer und wie war Wolfgang Clement?

Düsseldorf · Wolfgang Clement setzte als Superminister von Gerhard Schröder die Hartz-Reformen um. Damit sicherte er der deutschen Wirtschaft Boomjahre, brachte die SPD aber um einen Teil ihrer Stammwählerschaft. Mit Folgen auch für ihn selbst.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement spricht im Düsseldorfer Landtag 2000 die Vereidigungsformel. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement ist tot.

Foto: dpa/Gero Breloer

Ende Juni 2020 war Wolfgang Clement schon erschreckend schmal und wacklig auf den Beinen geworden. Er sei schwer krank und wolle keine Interviews, hatte er der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Aber dann ließ er sich doch noch umstimmen. Und nun saß er im Wohnzimmer seines Bonner Bungalows und sagte diesen Satz: „Ich habe einfach viel Glück gehabt im Leben.“ Am frühen Sonntagmorgen ist der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und frühere Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister nun im Alter von 80 Jahren in eben diesem Haus im Kreise seiner Familie „friedlich in seinem Bett eingeschlafen“.

Clement wurde am 7. Juli 1940 in Bochum als Sohn eines Baumeisters geboren. Weil sein Vater es unbedingt wollte, studierte er Jura, wurde dann aber Journalist. Er kontaktierte alle möglichen Zeitungen, doch nur der Lokalchef der „Westfälischen Rundschau“ antwortete. Dort fing er an, und später wurde dieser Lokalchef Chefredakteur und machte ihn zu seinem Vertreter. „Dieser Mann war der erste große Glücksfall meines Lebens.“

Der nächste hieß Hans-Jürgen Wischnewski, ein SPD-Urgestein. „Er hat mich im Namen von Willy Brandt gefragt, ob ich Sprecher der SPD werden wollte.“ Das war 1981. Clement besuchte daraufhin den SPD-Landesvorsitzenden und NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau und ließ sich von ihm beschreiben, „wie das ist, wenn man im Präsidium zusammensitzt mit Brandt, Schmidt und Wehner“.

Das Verhältnis zwischen den drei Koryphäen - Brandt war Parteivorsitzender, Helmut Schmidt Bundeskanzler, Herbert Wehner Fraktionschef - war so zerrüttet, dass sie kaum noch miteinander sprachen. Das galt insbesondere für Brandt und Wehner. „Der Johannes Rau sagte zu mir: "Sie müssen aus kürzesten Sätzen, Randbemerkungen, geradezu aus ihrer Körpersprache verstehen lernen, worum es jeweils geht.“

Clement machte den Job des SPD-Vorstandssprechers bis fast zum Ende des Bundestagswahlkampfes 1986/87, als er Parteichef Brandt und dem SPD-Kanzlerkandidaten Rau ins Gesicht sagte, dass einer von ihnen zurücktreten müsse, da sie im Wahlkampf einen geradezu gegensätzlichen Kurs verfolgten - konfliktträchtig versus „Versöhnen statt spalten“. Als sie das prompt ablehnten, warf er selbst hin, kehrte zurück in den Journalismus und zog mit der kompletten Familie nach Hamburg, um dort Chefredakteur der „Hamburger Morgenpost“ zu werden. Rau machte sich alsbald einen Spaß daraus, ihm die Zeitung allmorgendlich mit eigenhändig geröteten Rechtschreibfehlern zurückzuschicken. „Das war gelegentlich eine regelrechte rote Wüste.“

1989 holte ihn Rau als Chef der Staatskanzlei nach Düsseldorf. Bald galt er als Kronprinz des NRW-Landesvaters. Zeitweise waren sie so eng miteinander, dass die beiden Familien gemeinsam Urlaub machten. Doch die Spekulationen über einen tatsächlich oder vermeintlich drängelnden Nachfolger vergifteten das Klima. „Das war schrecklich und spitzte sich so zu, dass unser Verhältnis darunter am Ende sehr gelitten hat“, sagte Clement 2020.

1998 wurde er endlich selbst Ministerpräsident. Er hatte große Pläne und wollte NRW zum „Bundesland Nr. 1“ machen. Der Journalist Clement rief die Medienindustrie zum Motor des Strukturwandels aus - mit mäßigem Erfolg. Zum Sinnbild einer illusorischen Hollywood-Träumerei wurde ein Oberhausener Trickfilmstudio, in das 50 Millionen Euro Fördergelder flossen und das am Ende 20 Leute beschäftigte. „Viele Baustellen und kein Richtfest“, spottete der ebenfalls aus NRW stammende CDU-Politiker Friedrich Merz, mit dem sich Clement im Übrigen gut verstand.

Vier Jahre später kam der Ruf aus Berlin: SPD-Kanzler Gerhard Schröder inthronisierte Clement als Superminister mit zusammengelegtem Wirtschafts- und Arbeitsministerium, um die Arbeitsmarktreformen Hartz I bis Hartz IV umzusetzen. „Edmund Stoiber hat einmal zu mir gesagt: „Wie konnten Sie nur aus dem Amt des Ministerpräsidenten des größten der deutschen Länder in die zweite Reihe der Berliner politischen Szene wechseln?““

Clement sah es anders. Er habe etwas an den sozialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verändern wollen, sagte er im Rückblick. Die Reformagenda 2010, die er wesentlich mit umsetzte, gilt heute als seine herausragende politische Leistung - sie bescherte der deutschen Wirtschaft Boomjahre. Zeitweise wurde er als Nachfolger Schröders gehandelt, doch gleichzeitig verlor er den Rückhalt seiner Partei, weil er sie mit den Einschnitten im Sozialbereich um einen Teil ihrer Stammwählerschaft brachte. Es war der Anfang einer langen Entfremdung, die schließlich 2008 zum Parteiaustritt des unbequemen Genossen führte. In den Folgejahren warb er mehrfach für die FDP.

In jenem Gespräch Ende Juni in seinem Bungalow wirkte Clement wie jemand, der mit sich selbst im Reinen war. Er scheute sich nicht, Fehler offen zuzugeben. Er hatte im Gespräch überhaupt nichts Rechthaberisches. Aber gleichzeitig bestand kein Zweifel daran, dass er von der Richtigkeit der Reformagenda 2010 weiterhin felsenfest überzeugt war.

„Ich hab viel Glück gehabt im Leben“ - diesen Satz hat Wolfgang Clement an jenem Tag noch mehrfach wiederholt. Währenddessen sorgte seine Frau Karin mit ihrer herzlichen und witzigen Art für denkbar gute Stimmung. Er war 18, sie 16, als sie sich kennenlernten. 1966 heirateten sie und bekamen fünf Töchter und später sage und schreibe 13 Enkelkinder. Die gesamte Großfamilie machte regelmäßig Urlaub in der Toskana. Inmitten der Corona-Krise plante er schon wieder das nächste große Familientreffen für das kommende Jahr.

Clement wurde von Peer Steinbrück, seinem Nachfolger als NRW-Ministerpräsident, einmal als „Alpha-Alpha-Wolf“ bezeichnet. Zeitlebens war er als Macher bekannt, stand für Durchsetzungskraft und Geradlinigkeit. Am Ende war auch er ein sehr zerbrechlicher Mensch, aber er verlor nicht viele Worte darüber. Am Stock begleitete er seine Gäste vors Haus. „Machen Sie's gut“, sagte er. Dann drehte er sich um und verschwand ganz langsam in seinem Garten.