Das Engels-Denkmal 11. Juni 2014: Der Tag des Geschenks, das Wuppertal nicht ablehnen konnte
Wuppertal · Seit fünf Jahren steht Friedrich Engels nun schon an der Oper in Barmen, im Garten, der seinen Namen trägt. Und irgendwie wirkt er fremd in seiner Heimatstadt.
Die Szenerie hatte viel von Marlon Brandos Parade-Auftritt im Filmklassiker „Der Pate“. Darin kündigt Brando als Don Vito Corleone ein Angebot an, das der Bedachte nicht ablehnen könne. So, freilich allerdings nicht am Leben bedroht, mag Peter Jung, damals Wuppertals Oberbürgermeister, sich einst gefühlt haben, als ihm China ein Geschenk machte. Der im Reich der Mitte weltberühmte Bildhauer Prof. Zeng Chenggang hatte es hergestellt – eine Statue von gut drei Metern Höhe, aus Bronze, unvergänglich, so unvergänglich wie der Mensch, den die Statue darstellt – zumindest für China. In Deutschland gehört Friedrich Engels nicht zu den Stars der Geschichte.
Hier wird das Licht des Barmer Fabrikantensohnes von der Gravitation eines Karl Marx absorbiert. Dass Engels mehr war als nur der Hilfskellner und Geldgeber des großen Trierer Philosophen, des Verfassers der wirklich weltberühmten Schrift „Das Kapital“, das wird vielen Wuppertalern erst jetzt nach und nach klarer. Denn im nächsten Jahr feiert die Stadt den 200. Geburtstag Engels’, und Historiker bemühen sich, ihm im Kontext seiner Zeit die Position zuzuweisen, die ihm gebührt. Engels war ein Lebemann mit sozialem Gewissen, ein genialer Denker, aber im eigenen Leben wohl nicht immer so konsequent, wie es der reinen Lehre nach recht gewesen wäre.
Um solche Nuancen hat sich Prof. Chenggang freilich nicht gekümmert, als er seinen Koloss schuf. Für ihn und die chinesische Kommunismus-Ideologie ist Friedrich Engels eine Art Über-Opa, ein gutmütiger alter Herr, dessen bloße Haltung Zuflucht bietet, der Zuversicht ausstrahlt, Hoffnung gibt, ein Fels in der Brandung, unerschütterlich, wahr und wahrhaftig. Also alles, was Engels für die meisten Deutschen, vermutlich auch für die meisten Europäer und sowieso für die meisten Historiker nie gewesen ist.
Aber so ist das mit Angeboten, die schwer bis gar nicht abzulehnen sind. Das Wuppertal unter Peter Jung hat denn auch nicht abgelehnt. Wenn Politik und Verwaltung die Bronze gewordene Geschichtsklitterung wirklich als störend empfunden haben sollten, so verdrängten sie das unangenehme Gefühl, damit sich an jenem 11. Juni 2014 im Engelsgarten gleich neben dem Schauspielhaus Großes ereignen konnte. China hatten den Bildhauer höchstselbst geschickt, begleitet von mehr oder weniger Offiziellen. Und dann stand er da, der Engels, gehüllt in rotes Tuch, darauf wartend, das Licht der Sonne über Wuppertal zu erblicken. Und alle, fast alle applaudierten, dankten einander und beschworen diesen neuen Höhepunkt der Wuppertal-chinesischen Wirtschafts-Freundschaft. Denn um die ging es, um nichts anders.
China ist immer noch ein Wachstumsmarkt. Die Zuwächse lassen selbst Deutschland vor Neid erblassen, auch wenn sie längst nicht mehr in zweistelligen Prozent-Raten gemessen werden. Aber NRW ist immer noch Chinas wichtigste Partner-Region in Deutschland, und Wuppertal wollte damals und will heute davon profitieren. Deshalb fahren regelmäßig Delegationen der hiesigen Wirtschaftsförderung ins Reich der Mitte und besuchen umgekehrt chinesische Wirtschaftsvertreter sowie Politiker Wuppertal. Der ganz große Ansturm ist bisher allerdings ausgeblieben. „Eigentlich dürfte nun kein Chinese mehr Deutschland verlassen, ohne sich mit unserem Engels abgelichtet zu haben“, sagte der damalige Oberbürgermeister, nach dem Engels seine rote Stoffhülle hatte fallen lassen.
Ganz so weit ist es bisher nicht gekommen. Von Busladungen mit Touristen aus Peking. Chongking oder Dongguan, Wuppertals Millionen-Partnerstadt in China, kann nicht die Rede sein. Dabei hat Wuppertal sich wirklich viel Mühe gegeben. Sogar Hinweisschilder mit chinesischen Schriftzeichen wurden aufgestellt, um es den Engels-Verehrern bei ihrem Über-Opa so heimisch wie möglich zu machen.
Dennoch macht sich die Kontaktpflege bezahlt. Vor zwei Jahren zum Beispiel trafen sich 300 Experten zum deutsch-chinesischen Automobilkongress in der Stadthalle. Daraus hat sich inzwischen das NRW-Kompetenzzentrum Automotive entwickelt. Die Verbindungen nach China sind fest und machen sich langsam auch wirtschaftlich bezahlt. Chinesische Unternehmer interessieren sich für Investitionen in Unternehmen im Bergischen Land, bergische Unternehmen engagieren sich in China. Durch Friedrich Engels ist Wuppertal im asiatischen Weltreich mehr als nur ein Klecks auf der Landkarte. Das ist der Gegenwert dafür, dass am Opernhaus ein Engels steht, wie die Chinesen ihn sehen.
Und sein Freund, sein ewig klammer Kumpel, sein Vor- und Mitdenker? Und Karl Marx? Wo steht der? In Sachen Angebot, das keiner ablehnen kann, befindet Wuppertal sich in bester Gesellschaft. Trier sitzt im selben Boot. Dort ist Marx geboren, der andere deutsche Held der Kommunistischen Partei Chinas. Optisch unterscheiden sich Marx und Engels kaum – im Ergebnis von Bildhauerei. Beide in Bronze, beide in einer Pose, die das Herz erwärmen könnte, wäre der Betrachter ein gläubiger Chinese. Und dennoch hat es Trier härter getroffen. Karl Marx ist inklusive Sockel annähernd doppelt so hoch wie sein Freund im Garten am Opernhaus von Barmen. Insofern hat Wuppertal noch Glück gehabt. Aber Don Vito Corleone war ja auch nicht nur böse.