Wuppertal 150 Euro zum Leben - So sieht Altersarmut wirklich aus
Bärbel Brücker aus Wuppertal hat wegen ihrer kargen Rente monatlich nur 150 Euro über, lange geht das nicht mehr gut. Sie ist kein Einzelfall.
Elisabeth Westkott (70) fächert eine Handvoll Umschläge auf. In den einen kommt das Geld für den Mittagstisch, in den nächsten das Geld für die Fußpflege, in den dahinter ein paar Scheine für den Friseur. Auf diese Weise verschwinden nach und nach die 537 Euro monatliche Rente von Elisabeth Westkott und die 1200 Euro Rente ihres Mannes Hans-Helmuth. Was dann noch neben den laufenden Kosten übrig bleibt, sind genau 60 Euro für den wöchentlichen Einkauf. Das muss fürs Essen, für Hygieneartikel, für Kleidung und für alles, was sonst noch so anfällt, reichen. „Wir haben kein Geld für Kino, Theater oder einen Cafébesuch“, sagt Hans-Helmuth Westkott etwas verbittert.
Er und seine Frau sind enttäuscht vom deutschen Rentensystem. Westkott hat 46 Jahre lang gearbeitet - unter anderem als Bandweber und in der Brauerei Wicküler. „Das waren 40 Jahre Schichtarbeit, in denen ich ran musste, wenn andere Freizeit hatten“, sagt der Rentner. „Und dann kriegt man 1200 Euro?“, fragt er. „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“
Seine Frau war sehr überrascht, als sie ihren ersten Rentenbescheid in den Händen hielt, der ihr noch weniger Einkommen bescherte, als ihr vorher von der Rentenversicherung ausgerechnet worden war. Elisabeth Westkott fing mit 14 Jahren ihre Lehre als Näherin an und blieb, bis sie 27 Jahre alt war, in dem Beruf. Dann wurde sie Mutter und arbeitete nur noch halbtags. Zwei Schicksalsschläge führten dazu, dass sich Elisabeth Westkott schließlich für einige Jahre ganz aus dem Berufsleben verabschieden musste: Nachdem ihr erster Mann gestorben war, verlor sie auch noch ihre 14-jährige Tochter an eine Erkrankung. Nach dieser Zäsur verdiente die Wuppertalerin mit der Betreuung von Kindern nur wenig Geld. Sie zahlte in dieser Zeit aber monatlich freiwillig 80 bis 100 Euro in die Rentenversicherung ein. Am Ende ihres Berufslebens stand dann eine unbefriedigende Zahl. 537 Euro. „Damit allein könnte ich mir unsere Wohnung nicht mehr leisten“, sagt sie. Sie ist besorgt um ihre Zukunft, falls sie einmal ohne die Rente ihres zweiten Mannes dastehen sollte.
In fünf Jahren sind alle Ersparnisse aufgebraucht
Nur der eigenen Voraussicht hat es das Rentner-Ehepaar zu verdanken, dass noch Geld übrig ist für Luxus wie ein Auto, einen Hund und den gelegentlichen Urlaub. Das alles ist nur möglich, weil sie diese Ausgaben über erspartes Geld finanzieren. „Doch das Polster wird immer kleiner“, sagt Elisabeth Westkott. Ihr Mann ergänzt: „Das wird noch etwa fünf Jahre reichen. Danach ist Schluss.“ Er lehnt sich zurück in seinen Stuhl: „Dann bleiben wir nur noch hier.“
An Urlaub denkt Nachbarin Bärbel Brücker schon lange nicht mehr. Die 70-Jährige bekommt monatlich eine Rente von 567 Euro überwiesen - und hat seit zwei Jahren keinen Mann mehr an ihrer Seite. „Ich bin ehrlich“, sagt Brücker, so als müsste sie etwas beichten, „ich brauche Unterstützung vom Staat.“ Nur durch den Bezug der Grundsicherung konnte sie den Verlust ihrer Wohnung im Bornscheuer Haus der Diakonischen Altenhilfe verhindern.
Auch Brücker hat schon mit 14 Jahren angefangen zu arbeiten. In einer Bandweberei. „Ich musste helfen, die Familie zu ernähren“, erinnert sich die Seniorin. Ihr Berufsweg endete vorerst mit der Geburt ihrer Tochter im Alter von 32. Zu dieser Zeit war sie von ihrem Mann geschieden. „Als alleinerziehende Mutter war es für mich unmöglich, weiter Vollzeit zu arbeiten“, sagt sie.
Den Beruf als Näherin musste sie aufgeben und hielt sich mit Jobs in einer Imbissbude oder als Putzkraft über Wasser. Eine Laufbahn, die in der Grundsicherung endete. 150 Euro hat Brücker im Monat zur Verfügung. Daran hat sie sich gewöhnt. Mittags bekommt sie im Bornscheuerhaus eine warme Mahlzeit. „Morgens und abends esse ich Brot mit Käse oder Marmelade. Ich brauche nicht viel“, sagt die Seniorin.
„Diese Menschen kommen nur deshalb über die Runden, weil sie sehr bescheiden leben“, sagt Birgit Hipp. Sie ist Dienststellenleiterin in der offenen Altenarbeit der Diakonischen Altenhilfe. Sie hat beobachtet: Die Westkotts und Birgit Brücker sind keine Einzelfälle. Gerade Frauen gerieten heute im Alter in eine prekäre finanzielle Situation. „Früher war es so gewollt, dass sie zu Hause bleiben und die Männer das Geld verdienen. Jetzt haben die Frauen ein Problem“, sagt Hipp. Sie hat es mit einer Generation zu tun, die sich im Alter auf einem Kreuzfahrtschiff gesehen hat und nun das Geld für den Einkauf zusammenkratzen muss. Die 49-Jährige sagt: „Ich bin fest überzeugt, dass unserer Rentensystem schon nicht mehr funktioniert, wenn ich in Rente gehe.“