Abgründe im Bergpanorama

„Alpenglühen“ von Peter Turrini feierte Premiere.

Foto: Uwe Schinkel

Manchmal ist es fast etwas schade, über ein Theaterstück zu schreiben. Bei der Premiere „Alpenglühen“ von Peter Turrini gilt das deshalb, weil mit der Beschreibung ein Gutteil des Effekts verloren geht. In der Filmsprache würde man neudeutsch vom spoilern sprechen. „Alpenglühen“ ist ein Stück über Abgründe im Bergpanorama. Über Illusionen und unklare Identitäten - und die Regie hat dazu ihre ganz eigenen Ideen.

Mit Mangel an Durchblick legt schon die Handlung vor, auf mehreren Ebenen: Klar sehen ist dem Greis im Gebirge (Stefan Walz) schon wörtlich verwehrt, denn er ist blind. In seine Hütte lässt er zur Hilfe eine Frau kommen (Philippine Pachl). Harmlos über den Blindenverband, doch keineswegs wunschlos: „Auch für anderes“ benennt er offen den Wunsch nach körperlicher Nähe. Die kommt prompt und professionell: Jasmine stellt sich als Prostituierte vor, wobei das später schwankt. Wie auch am Klausner Zweifel kommen: an seiner Rolle im Krieg, am Grund für die Erblindung, gar an der Blindheit selbst. Man belügt sich und nähert sich an.

Statt nun diese Handlung brav nachzuerzählen, reiht Regisseur Marcus Lobbes Irritation an Irritation. Allem voran eine kleine Zumutung: Über weite Strecken spricht Stefan Walz aus dem dunklen Hintergrund, während auf der hellen Bühne (Leere mit Konzept: Pia Maria Mackert) kaum etwas zu sehen ist. Dann allerdings sorgt es für Aufsehen: Sei es Pachl als Jasmine mit den vielen Gesichtern, die zu lasziver Akrobatik unbeeindruckt übers Leben plaudert. Seien es andere vom Ensemble, deren Gesichter, wandfüllend projiziert, den Text sprechen - besser: sprechen lassen, denn eigentlich spielen tun sie ihn nicht. Und schließlich platzt sogar die Theaterperspektive: Die Zuschauer werden erst auf die Bühne und dann sogar ins Freie gebeten.

Dritter im Bunde ist „der Junge“, sonst einzige Kontaktperson und schon als Rolle bizarr. Martin Petschan gibt ihn als Begleitung nicht nur des Blinden, sondern auch der Handlung: Lange agiert er schemenhaft hinter der Leinwand, bis er sie plötzlich zerstört und sichtbar wird.

Im Programmheft steht von Turrini: „Das Theater ist ein einziger Schwindel. Wenn man diesen Schwindel zugibt, sind echte Empfindungen wieder möglich.“ Nun geht aber das heutige Füllhorn an Verwirrung auf Kosten dieses Eindrucks. Vor allem gilt das für den Fremdenführer, für den sich Peter Wallgram in Tracht wirft, in künftigen Aufführungen auch Thomas Braus. Ständig nötigt er das Publikum, ein Kärntner Volkslied mitzusingen, und stört jedes Gefühl so penetrant, dass es Vorsatz sein muss: sofort Klamauk, sobald Empfindung droht! Turrini selbst, so mag man es lesen, will kein Alpenidyll; und die Inszenierung sperrt sich auch noch gegen Gefühligkeit.

Wett macht das freilich der Purismus. Der Fokus aufs Hören, auf sparsames Tempo. Am stärksten vielleicht aber ist ein Coup, der gar nicht unbedingt auffällt, obwohl er beim Spiel zentral sein muss: Stefan Walz, so wurde versichert, trägt eine tatsächlich blickdichte Brille - gewissermaßen ist er für eineinhalb Stunden wirklich blind. Beim Schauen diese Verletzlichkeit zu kennen, gibt seiner bildlosen Stimme einen Ernst, die Effekt und Enzian-Schrat sonst verhindern.