Begrabt mein Herz in Wuppertal Alles muss sofort einsatzbereit sein

Uwe Becker über Männer mit Modelleisenbahnen und Frauen mit Katzentick.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Rod Stewart und Horst Seehofer haben eine gemeinsame Leidenschaft: der eine steigt hinunter in seinen Keller, wenn ihm die politischen Utopien ausgehen oder er am Wochenende einfach mal abschalten will. Stewart dagegen steigt hoch zum Dachboden, wenn ihm nicht nach Singen ist oder ihm im Studio kein neuer Hit einfällt. Hier in der Einsamkeit einer künstlichen Landschaft können sie ihr Hobby genießen und dabei die Seele baumeln lassen. Seehofer und Stewart sind stolze Besitzer einer Modelleisenbahn. Der etwas reichere Sänger hat die schönere und größere Modellbahn, die von Seehofer ist ein bisschen blass und bieder.

Ich konnte mich als Kind und später auch als Heranwachsender nie mit dieser Art des Spielens anfreunden, da ich nicht lange basteln wollte. Alles musste sofort einsatzbereit sein. Ein Modellauto, welches ich zunächst aus 4000 Teilen zusammenkleben und womöglich auch noch anmalen musste, kam für mich überhaupt nicht in Frage. Für so eine Art der Beschäftigung war ich viel zu ungeduldig. Ähnlich wie das Puzzeln, das ich als Kind und später auch als Vater abgrundtief verachtete. Wenn mein kleiner Sohn mit mir puzzeln wollte, verdrehte ich erstmal die Augen, natürlich ohne dass er das mitbekam. Schweren Herzens fügte ich dann die kleinen Pappstücke mit ihm zusammen, bis sie ein Bild ergaben, einen lustigen Teddy-Bär oder ein schreckliches Wimmelbild. Puzzle mit höchstens 20 Teilen konnte ich noch gerade so ertragen, alles was darüber hinaus ging, war für mich nicht mehr lustig, bereitete mir Kopfschmerzen und verdarb mir manchmal, wenn ich mich zurück erinnere, sogar den Feierabend.

Die Frage, warum sich Männer im betagten Alter eine Modelleisenbahn zulegen, mit der sie im Keller viele Stunden verbringen und dabei ihre Alltagssorgen und oft auch ihre Frauen vergessen, dürften Psychologen bestimmt besser beantworten, da ich aber gerade keinen dieser Seelenklempner zur Hand habe, versuche ich selber eine befriedigende Antwort zu basteln. Ich weiß noch, als ich eine Eisenbahn zu Weihnachten geschenkt bekam, war für mich bereits der Aufbau, das Zusammenstecken der Schienen, die sich dabei direkt leicht verbogen, eine Qual, die mir sogleich den Spaß am Spiel verdarben. Auch die Streckenlänge war oft lächerlich kurz. Vielleicht ist dies mit ein Grund dafür, warum sich Erwachsene später eine große Modellbahn zulegen, nicht nur eine Minibahn, die einfallslos und ziellos im Kreis herumfährt.

Rod Stewart wollte als Kind einen neuen Bahnhof für seine kleine Anlage, die er in einem Modellbaugeschäft in Los Angeles sah, aber sein Vater kaufte ihm lieber eine Gitarre. Eine kluge Entscheidung seines Vaters, auch wenn er später den Ankauf und weiteren Ausbau einer üppigen Modelleisenbahn seines Sohnes nicht verhindern konnte. In meinem Leben habe ich es bisher geschafft, dass sich unter meinem Freunden keine Modellbauer befinden. Wenn doch, haben sie es mir verschwiegen. Ich gucke ja auch nicht in jeden Keller oder auf jeden Dachboden.

Meine Eltern hatten übrigens ein traumatisches Erlebnis mit einem befreundeten Ehepaar, in dessen Haus sie vor einigen Jahrzehnten wohnten. Der größte Schock für mich war allerdings die Tatsache, dass meine Erziehungsberechtigten von Wuppertal nach Sprockhövel gezogen sind. Zunächst war das Zusammenleben dort friedlich und harmonisch. Meine Eltern wohnten direkt unter dem Dachboden des hellhörigen Fertighauses. Die wenig später dort aufgebaute Modelleisenbahn des Freundes und Hausbesitzers störte nicht, weil der Betreiber kaum damit spielte und anscheinend wohl auch Modelleisenbahnen oft mit Verspätungen zu kämpfen haben – ich weiß es nicht, jedenfalls hörte man nur selten Fahrgeräusche.

Tragisch wurde es aber, als die Ehefrau des Modellbau-Fans, die ein anderes Hobby hatte, den Dachboden für sich beanspruchte. Statt einer Modelleisenbahn tummelten sich dort bald ein Dutzend oder mehr asylsuchende Katzen und brachten meine Eltern zur Verzweiflung und in der Nacht um den Schlaf. Im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr genau, was ich furchtbarer finde, Modellbauer oder deren Frauen, die einen Katzentick haben.