Begrabt mein Herz in Wuppertal Als Atheist ist man im Tal umzingelt

Uwe Becker hatte einst sein Schlafzimmer über einem Gemeindesaal.

Foto: Joachim Schmitz

Wuppertal. „In Wuppertal gibt es 30 evangelische, 27 katholische, drei orthodoxe und 21 freikirchliche Gemeinden. Zwischen Elberfeld und Barmen finden sich hunderte von Glaubensgemeinschaften und zahlreiche andere religiöse Einrichtungen wie Verlage, Missionen, Krankenhäuser und Schulen. Im 19. Jahrhundert war Wuppertal eine dynamische Industrieregion. Einige Jahrzehnte früher als im Ruhrgebiet begann hier die Umwälzung von der Agrarregion zur Industriestadt.

Die Textilindustrie zog die Arbeiter-Massen an. Die Bevölkerung explodierte in Barmen und Elberfeld wie in kaum einer anderen deutschen Region. Zu dieser Zeit konnten verschiedene Frömmigkeitsbewegungen im Tal besonders schnell Fuß fassen. So bekamen die frei-evangelischen Gemeinden, die Brüdergemeinden, die Selbständig-lutherische Kirche und die Niederländisch-reformierte Kirche ihre Gründungsimpulse aus Wuppertal.“

So steht es auf der Homepage der Stadt Wuppertal. Und was es bei uns da noch alles gibt: Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden, Evangelisch-methodistische Kirche, Evangelische Baptisten, Kirche Jesu Christi der Heiligen Letzten Tage, Religiöse Gesellschaft der Freunde, Evangelische Koreanische Missions-Kirchengemeinde und so weiter. Würde ich hier alle aufzählen, dann wäre diese Zeitung vollgeschrieben. Aber ich muss auf dieser Seite natürlich auch anderen Themen ihren Raum lassen. Kurz und gut: Wuppertal bietet eine religiöse Vielfalt, wie sie in dieser Dichte nur noch mit dem morgendlichen Stau auf der A46 vergleichbar ist. Wer als Gläubiger in Wuppertal keine Gemeinde findet, die zu ihm passt, dem ist bei Gott nicht mehr zu helfen.

Ich als Atheist toleriere diese erschreckend hohe Anzahl an religiösen Einrichtungen natürlich, fühle mich aber schon etwas umzingelt. Ich wohnte vor einigen Jahren in der ersten Etage eines Hauses, in dem direkt unter mir der Missionsbund zur Ausbreitung des urchristlichen Evangeliums, „Maranatha“, seine Heimstatt hatte. Eine recht friedliche Gemeinschaft, die dienstags zum Singen kam und sonntags zum Gottesdienst. Die idealen Nachbarn, da sie an fünf Tagen in der Woche gar nicht da waren. Man konnte also regelmäßig laute Musik hören und Partys feiern. Die Frauen der Gemeinde trugen lange, graue Röcke und einen Dutt, die Männer lange braune Hosen und weiße Hemden.

Würde ich eine Sekte gründen, wäre die Dienstkleidung allerdings farbenfroher und ein wenig abgedrehter. Hier wäre die tamilisch-hinduistische Gemeinde von Unterbarmen für mich vorbildlich. Da kommt der Glaube bunt und fröhlich rüber. Mein Schlafzimmer befand sich direkt über dem Gemeindesaal, wo der Gottesdienst stattfand, und als meine damalige Freundin das erste Mal bei mir übernachtete, wurden wir während des morgendlichen Liebesspiels vom sonntäglichen Chorgesang überrascht. Meine Freundin war stark irritiert, weil ich es im Vorfeld versäumt hatte, sie darüber zu informieren, dass ich direkt über einer Kirche wohne. Ihre Lust ließ in diesem Moment zwangsläufig etwas nach.

Am Frühstückstisch erzählte ich ihr, dass die Sekte eher harmlos wäre und keine schlimmen Fanatiker unter ihnen seien. Als ich sie aber davon in Kenntnis setzte, dass meine christlichen Nachbarn Sex vor der Ehe allerdings streng ablehnten, übernachteten wir in der Regel dann doch nur noch bei ihren Eltern.